Von Pechmann: Schutz für „nichtarische“ Christen


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Am 1. April 1933 kam es zu einem bis dahin in Deutschland einmaligen reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte, Anwälte und Ärzte. Als Vorwand diente die ausländische Kritik an den Polizeimaßnahmen gegen politische Gegner und jüdische Mitbürger nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933. Organisator der Aktion, die bereits einige Tage zuvor bekannt wurde, war der fränkische Gauleiter Julius Streicher (1885–1946).


Zwei Tage vor dem Boykott wandte sich Wilhelm Freiherr von Pechmann (1859–1948) telefonisch an den Leiter der obersten Behörde des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes, Johannes Hosemann (1881–1947). Von Pechmann fordert ihn dazu auf, sich für einen evangelischen oder einen gemeinsamen evangelisch-katholischen Protest gegen den Boykott einzusetzen.


Da Hosemann unter Hinweis auf Aussagen Hitlers ausweichend reagierte, wandte sich von Pechmann nun an Hermann Kapler (1867–1941), den Präsidenten des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes, hatte damit aber erneut keinen Erfolg. Auch der württembergische Landesbischof Theophil Wurm (1868–1953) forderte eine Aktion des Kirchenbundes. Der Kirchenbund wollte jedoch die gerade beginnenden Gespräche mit dem NS-Staat nicht durch einen Protest gefährden.


Auch auf katholischer Seite kam es zu Versuchen aus Laienkreisen, den Episkopat zu einem Protest zu bewegen. Sie scheiterten am Desinteresse der Bischöfe, an antijüdischen Ressentiments und der Furcht vor negativen Folgen für die eigenen Interessen.


Bereits eine Woche nach dem Boykott erreichte die antijüdische Politik der Nationalsozialisten mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ die nächste Stufe. Aufgrund der auch in der Kirche weit verbreiteten Überzeugung, die Juden hätten in Deutschland einen zu großen negativen Einfluss, und der kirchlichen Ablehnung linker Politiker blieb kirchlicher Widerstand auch jetzt aus. Kirchlicher Protest regte sich erst, als das Ausnahmegesetz mit dem Arierparagrafen von den Deutschen Christen in den von ihnen beherrschten Landeskirchen angewendet wurde.


Am 25./26. April 1933 fand eine Sondersitzung des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses statt, auf der die kirchenpolitische Lage im Reich und in den einzelnen Landeskirchen erörtert werden sollte. Wenige Tage zuvor hatte der NS-Staat in die mecklenburgische Landeskirche eingeriffen. Nachdem kurz vor der Sitzung außerdem ein Telefonat zwischen Kapler und Hitler stattgefunden hatte, wurde die ursprünglich vorgesehene Besprechung über die sogenannte Judenfrage hintangestellt.


An dieser Sitzung nahm von Pechmann als Vertreter des Deutschen Evangelischen Kirchentages teil. Er bezweifelte, dass die Freiheit der Kirchen Bestand haben werde: Den Willen des Reichskanzlers in Ehren; aber wer garantiere die Freiheit der Kirche, wenn mit einem Federstrich tausendjährige Rechte hinweggefegt werden konnten (Evangelisches Zentralarchiv in Berlin, 1/3210). Als die anderen Ausschussmitglieder ihre Bereitschaft signalisierten, Kapler mit umfassenden Verhandlungsvollmachten für die künftige kirchliche Verfassungsreform auszustatten, erklärte von Pechmann seinen Rücktritt aus dem Gremium. Dieser Schritt wurde freilich nicht akzeptiert.


Bei der Behandlung der Judenfrage berichtete von Pechmann von Hilferufen sogenannter nichtarischer Kirchenglieder. Die Kirche sei diesen Menschen Schutz schuldig und dürfe sie nicht dem Gefühl überlassen, als habe sie die Kirche in der Zeit der fürchterlichsten Not wort- und lautlos im Stich gelassen. Man schulde den eigenen treuen Mitgliedern endlich das tröstende, aufrichtende Wort des Schutzes (ebd.).


In den anschließenden Beratungen konnte sich nicht die Einsicht durchsetzen, dass die Kirche ihre Stimme erheben müsse. Vielmehr überwogen Ängste vor einer dramatischen jüdischen Überfremdung und die Furcht, eine öffentliche Erklärung könne vom Staat gegen die Kirche oder vom Ausland gegen das Deutsche Reich genutzt werden. Zudem bestand die Überzeugung, dass die NS-Rassengesetze legitim seien. Andere Redner betonten ferner die Nichtzuständigkeit der Kirche oder beschworen die Gefahr herauf, dass ein Wort zugunsten getaufter Juden einen Zustrom in die evangelische Kirche hervorrufen würde.


Die Diskussion endete mit dem Beschluss, von Pechmanns diplomatisch und vorsichtig formulierten Antrag zugunsten der Kirchenmitglieder jüdischen Stammes (ebd.) und die im Verlauf der Debatte vorgebrachten Argumente Präsident Kapler zur weiteren Verfügung zu überweisen. Von Pechmanns Initiative blieb damit letztlich erfolglos.


Quelle / Titel


  • © Evangelisches Zentralarchiv in Berlin, Best. 1 Nr. 3210

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