Zur Ausstellung

Christlicher Widerstand


1. Zur Einführung


2. Die Struktur der Ausstellung


3. Die Online-Präsentation


4. Die Zielgruppen


 


1. Zur Einführung


Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus zählt bis heute zu den brisantesten Kapiteln der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die gesellschaftliche Verständigung über dieses wichtige kultur- und bildungspolitische Themenfeld bleibt eine Herausforderung für jede Generation. Der Umstand, dass die kommunikative Erinnerung über Zeitzeuginnen und Zeitzeugen immer schwieriger wird, verändert gegenwärtig die Bedingungen der gesellschaftlichen Verständigung über die Widerstandsproblematik in grundlegender Weise.


Der christliche Widerstand im Nationalsozialismus und die Fragen nach dem Zusammenhang von Glaube und Widerstand sind seit den 1980er Jahren vermehrt Gegenstand der Forschung geworden. Dabei stehen nicht mehr wie bis in die 1960er Jahre hinein die Bekennende Kirche und ihre exponierten Vertreter im Vordergrund des Forschungsinteresses. Vielmehr lassen sich in der aktuellen Kirchengeschichtsforschung vier, überwiegend mit der Entwicklung der allgemeinen Widerstandsforschung korrespondierende Fragekomplexe ausmachen:


-        Welche Rolle spielte in der NS-Zeit das widerständige Verhalten im (Gemeinde-)Alltag und wer leistete christlich motivierte Hilfe für Verfolgte?


-        Welche Bedeutung kommt den bislang weniger beachteten Gruppen zu, wie etwa den religiösen Sozialisten, den liberalen Christen, den christlichen Mitgliedern des Nationalkomitees Freies Deutschland, den christlich motivierten Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren?


-        Wie lässt sich das individuelle Glaubensprofil einzelner Widerstandskämpfer einschließlich seiner Wandlungen herausarbeiten und zu ihrer ethisch-politischen Urteilsbildung in Bezug setzen?


-        Wie lässt sich der christliche Widerstand fern von Formen einer Monumentalisierung historisch darstellen und beurteilen?


Die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte reagiert mit dieser Internetausstellung auf die veränderten Bedingungen, unter denen sich das Erinnern und Forschen in Bezug auf die NS-Zeit heute vollzieht. Erstmals wird in einer wissenschaftlichen historischen Ausstellung das ganze Spektrum widerständigen Verhaltens von evangelischen Christinnen und Christen im Nationalsozialismus in seinen Konturen und Ambivalenzen dargestellt. Unter einem spezifisch christlichen Widerstand werden die verschiedenen Formen widerständigen Verhaltens unter Rückbezug auf die Bibel und die verbindlichen Grundwerte christlicher Überlieferung verstanden. Christlicher Widerstand hatte viele Facetten: Er reichte von der partiellen Unzufriedenheit über die Verweigerung und den Protest bis hin zum Umsturzversuch, dem Widerstand im engeren Wortsinn. Dabei ging es unter dem Vorzeichen einer Weltanschauungsdiktatur um die Verteidigung des Existenzrechts der Kirche und um die Authentizität der christlichen Botschaft sowie um die Verteidigung von Recht und Menschlichkeit in einem Unrechtsregime. Durch den in der Ausstellung weit gefassten Widerstandsbegriff können die qualitativ unterschiedlichen Ausformungen des Widerstands dargestellt werden, ohne die Unterschiede zwischen ihnen aufzulösen. Die Ausstellung macht zudem klar: Christlich motiviertes widerständiges Verhalten in der NS-Zeit war stets die Ausnahme im weiten Feld christlicher und kirchlicher Handlungsmöglichkeiten.


 


2. Die Struktur der Ausstellung


Die Ausstellung besteht aus drei Hauptbereichen:


1. Zeiten


Rahmenbedingungen, Ursachen, Träger, Formen und Ziele des widerständigen Verhaltens veränderten sich im Laufe des „Dritten Reiches“. Bezeichnend für die NS-Zeit war die sich stetig radikalisierende Entwicklung im politischen Bereich. Mit Blick auf die Hand­lungsbedingungen für widerständiges Verhalten zwischen 1933 und 1945 lassen sich vier Phasen unterscheiden. Um das gezeigte Widerstandshandeln im Zusammenspiel mit seinen Rahmenbedingungen erfassen zu können, werden für jede dieser Phasen


-  das Entwicklungsstadium des Herrschaftssystems,


- die Haltung des Mehrheitsprotestantismus sowie


- die Formen des widerständigen Verhaltens von evangelischen Christinnen und Christen dargestellt. Dabei werden Handlungsspielräume und Handlungsalternativen erkennbar gemacht, indem jeweils auf den zeithistorischen Zusammenhang verwiesen wird und das Widerstandshandeln mit dem gegenläufigen Verhalten von der Zufriedenheit bis hin zur Mittäterschaft kontrastiert wird.


Der chronologische Teil setzt mit der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ein. Auf diese Weise werden die mentalitäts- und theologiegeschichtlichen Wurzeln von Anpassung und Widerstand im Nationalsozialismus aufgezeigt. Dieser Teil endet mit einem Ausblick auf die Rezeption des christlichen Widerstands in der Erinnerungskultur der Bundesrepublik.


Regionen


Die regionalen Ausstellungsteile gehören zum Bereich „Zeiten“ und dokumentieren die Geschichte des evangelischen Widerstands in der Region. Dabei werden die besonderen Kennzeichen des regionalen Widerstands ebenso erkennbar wie dessen Gemeinsamkeiten mit der allgemeinen, überregionalen Entwicklung. Dieser Ausstellungsteil wird noch erweitert. Doch auch in Regionen, die nicht in der Ausstellung vertreten sind, gab es widerständiges Verhalten aus christlicher Motivation.


2. Menschen


Widerständiges Verhalten war die Sache Einzelner oder kleinerer Gruppen und eine Folge persönlicher Entscheidungen. Dieser Ausstellungsteil folgt daher einem biografischen Ansatz. Die Orientierung an Personen ermöglicht die Darstellung von konkreten Anlässen der Empörung, individuellen Handlungsspielräumen, persönlichen Entscheidungssituationen sowie biografischen Folgen. Auch Zwielicht und Ambivalenzen im Handeln sowie Überlegungen hinsichtlich Schuld und Verantwortung derer, die sich zum Widerstand entschlossen, lassen sich am Einzelbeispiel anschaulich näher bringen. Die Ausstellung porträtiert Männer und Frauen, Amtsträger und Laien, bekannte und bislang weniger bekannte Persönlichkeiten und Gruppierungen. Einzelne Biografien von katholischen Christen verweisen auf die ökumenischen Dimensionen des christlichen Widerstands.


3. Grundfragen


Dietrich Bonhoeffers Frage „Wer hält stand?“ aufnehmend, regt der systematische Teil der Ausstellung an darüber nachzudenken, was die Besonderheiten einer christlichen Motivation für widerständiges Verhalten im Nationalsozialismus sein konnten.


Insbesondere wird dabei bedacht, dass der damalige Konflikt zwischen Kirche und NS-Staat, zwischen Kirchengemeinden und Gesellschaft sowie zwischen dem Einzelnen und der begeisterten oder angepassten Mehrheit auch für die heutige Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Staat, Gesellschaft und Religion von grundsätzlicher Bedeutung ist. Lässt sich aus dem widerständigen bzw. angepassten Verhalten von einst etwas für die Gegenwart lernen?


Alle drei Ausstellungsbereiche sind eng miteinander vernetzt und ermöglichen es jedem Online-Besucher und jeder Besucherin, sich je eigene Wege durch die Ausstellung zu bahnen. Neben den Ausstellungstexten findet er und sie eine Vielzahl von Quellenreproduktionen, seien es Fotos, Briefe, Manuskripte, Buchauszüge oder Plakate. Gezielt lassen sich eigene Fragestellungen verfolgen. Auf diese Weise lässt sich die Thematik ganz individuell in forschender Perspektive erschließen.


 


3. Die Online-Präsentation


Das Internet ist das zentrale Kommunikationsmedium des 21. Jahrhunderts. Es wird heute von allen Altersgruppen weltweit genutzt. Das Internet ist auch der Ort, an dem sich die Konstruktion eines multimedialen Gedächtnisses ereignet. Das World Wide Web vermag das kulturelle Gedächtnis, wie es in den überlieferten Texten, Bildern und anderen Dokumenten gegenwärtig ist, für die individuelle Erinnerung auf anschauliche und lebendige Weise zugänglich zu machen. Mittels seiner multimedialen Möglichkeiten leistet das Internet einen wichtigen didaktischen Beitrag: es vermittelt Geschichte in einem neuen technischen Format und in verfeinerter ästhetischer Gestaltung. Auf diese Weise kann es den User zu einer intensiven individuellen Auseinandersetzung mit der verhandelten historischen Thematik inspirieren.


Mit der Online-Ausstellung ist bewusst eine öffentlichkeitswirksame Form des Erkenntnisgewinns und der Identitätsbildung gewählt worden. Ihre weltweite Verfügbarkeit ermöglicht auf differenzierte Weise die Erinnerung an die evangelischen Christen und Christinnen, die sich gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft zur Wehr setzten, und schärft den Blick für deren Motive.


 


4. Die Zielgruppen


Mit der Ausstellung ist die Absicht verknüpft, die gesellschaftliche Verständigung über die historischen Bedingungen und ethischen Motive des christlichen Widerstands gegen den Nationalsozialismus zu fördern. Daraus ergeben sich auch Einsichten in den weiter gefassten, allgemeinen Widerstand jenseits christlicher Motive. In diesem Zusammenhang zielt die Ausstellung auf ein Publikum, das kirchennahe Kreise deutlich überschreitet. Dabei ist die Ausstellung so konzipiert, dass sie durch mehrere Informationsebenen Benutzerinnen und Benutzer unterschiedlicher Vorbildung und Interessen sowie verschiedenen Alters ansprechen kann. Sie sind eingeladen, sich den christlichen Widerstand in der NS-Zeit auf Ihrem ganz persönlichen Weg durch die Ausstellung zu erschließen.