Lempp-Kreis: Laien gegen den Mord an Juden


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Seit den 1930er Jahren traf sich im Haus des Münchner Verlegers Albert Lempp und seiner Frau Marie ein Kreis von evangelischen Laien und Theologen, die aufseiten der von Karl Barth beeinflussten entschiedenen Bekennenden Kirche standen und den kompromissbereiten Kurs der bayerischen Kirchenleitung kritisch betrachteten.


Die Zusammenkünfte waren als Bibelstunden deklariert, dienten aber neben dem Bibelstudium der Lektüre oppositioneller Literatur und entwickelten sich zu einer Art konspirativer Treffen. Aus dem Lempp-Kreis stammt einer der bedeutendsten Beiträge der zeitgenössischen Theologie zur NS-Judenverfolgung, der als „Münchner Laienbrief“ berühmt geworden ist (Zitat: E. Röhm/J. Thierfelder, Juden 4/2, 283).


Zu den Mitgliedern und zum Umfeld des Lempp-Kreises gehörten der Freund und theologische Berater Lempps Georg Merz, der Orientalist Wilhelm Hengstenberg, der Amtsrichter Emil Höchstädter, der Schweizer Verleger Walter Classen, der württembergische Bekenntnispfarrer Hermann Diem, der zwangspensionierte Berliner Pfarrer Carl-Gunther Schweitzer, der altpreußische Bekenntnispfarrer Hellmut Traub, die Münchner Pfarrer Kurt Frör, Karl Nold und Walther Hennighaußen, der Münchner Zahnarzt Kurt Wilhelm Lendtrodt und seine Schwester Emmy sowie der Stuttgarter reformierte Pfarrer Kurt Müller.


Durch das Schicksal des wegen seiner jüdischen Herkunft zwangspensionierten Carl Gunther Schweitzer und anderer Personen erlebten die Mitglieder des Lempp-Kreises die Judenverfolgung aus nächster Nähe. Einige Mitglieder und Freunde des Kreises halfen untergetauchten Juden und hielten Kontakte zu Schweizer Judenhelfern sowie zum Helferkreis der Bekenntnisgemeinde in Berlin-Dahlem.


Um Ostern 1943 entwarf Hermann Diem eine Denkschrift, die Landesbischof Hans Meiser (1881–1956) vorgelegt werden und als Grundlage für einen öffentlichen Protest der Kirche gegen die Morde an Juden dienen sollte. Die Denkschrift wurde Meiser von Wilhelm Hengstenberg und Emil Höchstädter überbracht. Darin hieß es:


Als Christen können wir es nicht mehr länger ertragen, daß die Kirche in Deutschland zu den Judenverfolgungen schweigt. In der Kirche des Evangeliums sind alle Gemeindeglieder mitverantwortlich für die rechte Ausübung des Predigtamtes. Wir wissen uns deshalb auch für sein Versagen in dieser Sache mitschuldig. Der zur Zeit drohende nächste Schritt: die Einbeziehung der sog. ‚privilegierten‘ Juden in diese Verfolgung unter Aufhebung der nach Gottes Gebot gültigen Ehen mag der Kiche die Veranlassung geben, das durch Gottes Wort von ihr geforderte Zeugnis abzulegen gegen die Verletzung des 5., 6., 7., 8., 9. und 10. Gebotes und damit endlich das zu tun, was sie längst hätte tun müssen. ... Jeder „Nichtarier“, ob Jude oder Christ, ist heute in Deutschland der ‚unter die Mörder Gefallene‘ und wir sind gefragt, ob wir ihm wie der Priester und Levit, oder wie der Samariter begegnen.


Meiser stimmte dem Inhalt des Münchner Laienbriefes zwar weitgehend zu, lehnte eine Veröffentlichung aber ab. Dabei berief er sich auf seine Verantwortung für die Landeskirche und ihre Pfarrer, die er mit einem öffentlichen kirchlichen Protest der Verfolgung aussetzen würde. Zudem sei zu befürchten, dass das NS-Regime die Juden noch rigoroser verfolgen würde. Er und seine Freunde in der Kirchenleitung täten in der Stille jedoch alles, um Verfolgten zu helfen, z. B. durch die Beschaffung von Pässen für die Schweiz.


Als der Schweizer evangelische Pressedienst die Denkschrift im Juli 1943 veröffentlichte und die Gestapo bei Meiser die Urheber in Erfahrung bringen wollte, stellte er sich zunächst unwissend und berief sich auf das Beichtgeheimnis.


In Deutschland kursierte der Münchner Laienbrief nur unter der Hand. Meiser sandte ein Exemplar an den württembergischen Landesbischof Theophil Wurm, der die Denkschrift zwar auch nicht veröffentlichte, aber ein eigenes Protestschreiben an Hitler und die Reichsregierung sandte. Der Sohn Emil Höchstädters, Pfarrer Walter Höchstädter, verfasste unter dem Eindruck des Münchner Laienbriefs bei einem Kriegseinsatz in Frankreich ein Flugblatt, das er in einer Druckerei vervielfältigen ließ und in 1.000 Exemplaren in Umlauf brachte.


Der Elberfelder Pfarrer Helmut Hesse bezahlte die Verlesung der Denkschrift in einem Bekenntnisgottesdienst im Juni 1943 mit seinem Leben: Er wurde verhaftet und starb im November 1943 im Konzentrationslager Dachau, weil man ihm lebenswichtige Medikamente verweigert hatte.


Quelle / Titel


  • © Landeskirchliches Archiv Stuttgart, D1/108

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