„Flüsterwitze“: Aus „Reibi“ wird „Bleibi“


  • 1tes Bild zum Dokument
    Bildlupe

Humor ist, wenn man trotzdem lacht … Kritik an bestimmten Verhältnissen und Entwicklungen entlädt sich häufig durch Humor, etwa in Form von Kabarett, Satire und Karikatur. Als die „Waffe des kleinen Mannes“ kann man eine spezielle Form von Ironie und bestimmte Witze bezeichnen. Diese können je nach Situation, in der man sich mehr oder weniger ohnmächtig und ausgeliefert fühlt, sehr sarkastische und zynische Züge annehmen.


In unfreien Gesellschaften gedeihen „Flüsterwitze“, die nicht öffentlich erzählt oder etwa gedruckt werden dürfen und deren Verbreitung mitunter massive Sanktionen nach sich ziehen kann. Für die Zeit des „Dritten Reiches“ sind nicht wenige Fälle belegt, in denen Menschen, die hinter vorgehaltener Hand solche Witze weitererzählten, denunziert und in Konzentrationslager gesteckt oder sogar hingerichtet wurden.


Auch in kirchlichen Kreisen kursierten schon bald nach der nationalsozialistischen Machtübernahme Flüsterwitze. Sie bezogen sich zum Teil auf innerkirchliche Verhältnisse. Insbesondere Reichsbischof Ludwig Müller, im Volksmund „Reibi“ genannt, war wegen seiner Eitelkeiten, verbunden mit zum Teil erstaunlichem Kompetenzmangel und autoritärem Gebaren, Zielscheibe für Witzeerzähler und Karikaturisten.


Viel belächelt wurde der von Müller bei öffentlichen Auftritten getragene sogenannte „Halbmond-Orden“, den er als Marinepfarrer im Ersten Weltkrieg in der mit dem Deutschen Reich verbündeten Türkei verliehen bekommen hatte. Da der auf dem Orden abgebildete Halbmond mit dem islamischen Glauben in Verbindung gebracht wurde, machte man sich darüber lustig, dass ausgerechnet ein christlicher Bischof sich dieses Symbol stolz an die Brust heftete.


Es wurde sogar kolportiert, die Inschrift des Ordens laute in deutscher Übersetzung: „Tod allen Christenhunden“ – das ist allerdings eine antimuslimische und Müller zusätzlich verhöhnende Legende. Dass Müller sich weigerte, von seinem Amt zurückzutreten, obwohl er ab Herbst 1934 faktisch entmachtet war, ließ ihn selbst zur Karikatur werden („Bleibi“).


Flüsterwitze mit kirchlich-religiösem Hintergrund kursierten frühzeitig und bezogen sich bisweilen auch auf den Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus. Denn viele Christen empfanden diesen als übergriffig, nämlich als unzulässige bzw. gotteslästerliche religiöse Überhöhung menschlich-irdischer Dinge.


Insbesondere die Einführung des Grußes „Heil Hitler!“ war für viele Christen eine Provokation, weil sie darin einen eklatanten Widerspruch zu dem bekannten Bibelvers aus der Apostelgeschichte (Kapitel 4, Vers 12) sahen: Und ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darin wir sollen selig werden (Lutherübersetzung in der damals verbreiteten Fassung).


Quelle / Titel


  • Ianwatts, gemeinfrei

Verwandte Inhalte