Hermann Sasse: Kritik an Rasseideologie


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Hermann Sasse (1895–1976) studierte Evangelische Theologie in Berlin und wurde hier von den bedeutenden Vertretern der Liberalen Theologie Adolf von Harnack (1851–1930) und Ernst Troeltsch (1865–1923) beeinflusst. Die Teilnahme am 1. Weltkrieg führte ihn zu einem intensiven Lutherstudium, aber auch zu einer zeitweiligen Öffnung für die junge Dialektische Theologie.


1920 erhielt Sasse seine erste Pfarrstelle in Templin, von 1921 bis 1928 amtierte er in Oranienburg. Neben dem Pfarrdienst konnte er zum Dr. theol. promovieren und ein Studienjahr in den USA (1925/26) absolvieren. 1927 nahm er an der Lausanner Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung teil. Neben seinem ökumenischen Engagement, in dem der Begriff des Bekenntnisses eine große Rolle spielte, verfolgte Sasse Pläne für einen Wechsel ins akademische Lehramt weiter und habilitierte sich in Berlin für Neues Testament.


1928 wurde Sasse Pfarrer an St. Marien in Berlin. Neben diesem Amt übernahm Sasse weitere Verpflichtungen: Er wirkte als Sozialpfarrer und gab von 1931 bis 1934 das „Kirchliche Jahrbuch“ heraus. Hier publizierte er 1932 unter der Überschrift Die Kirche und die politischen Mächte der Zeit eine äußerst provokante Auseinandersetzung mit dem Programm der NSDAP, wobei er auch scharfe Kritik am passiven Verhalten von Kirche und Theologie gegenüber der Vermischung von Religion und Politik übte. Artikel 24 des Parteiprogramms der NSDAP mache jede Diskussion mit einer Kirche unmöglich, übertreffe alle Blasphemien Alfred Rosenbergs (1893–1946) und den messianischen Führerkult (65). Sasse betonte, dass der christliche Glaube das Gegenteil jeder natürlich-weltlichen Moral, damit eine vorsätzliche und permanente Beleidigung des im Parteiprogramm festgeschriebenen sog. germanischen Sittlichkeits- und Moralgefühls und in einem künftigen NS-Staat untragbar sei (66). Jesus als Verfechter einer alle Moral stürzenden Lehre sei von den Juden gekreuzigt worden und damit zugleich im Namen des deutschen Volkes und der nordischen Rasse (ebd.).


Seit dem Sommersemester 1933 lehrte Sasse als außerordentlicher Professor für Kirchen- und Dogmengeschichte und Konfessionskunde an der Universität Erlangen. Seine theologische Position entwickelte sich stetig weiter zu einem verhärteten lutherischen Konfessionalismus bis hin zum Zweifel an der Bekenntnistreue seiner Erlanger Kollegen. Diese Position ließ ihn zu einem entschiedenen Gegner der Deutschen Christen und der NS-Kirchenpolitik werden. Den Versuch der gewaltsamen Eingliederung der bayerischen Landeskirche in die Reichskirche im Herbst 1934 charakterisierte er öffentlich als Dampfwalze, die über die kirchlichste der evangelischen Kirchen Deutschlands, über diejenige, die das Wissen von dem, was Kirche im Sinne des lutherischen Bekenntnisses ist, am treuesten bewahrt hat, hinweggegangen sei (Junge Kirche 1934, S. 895).


Aber auch mit der Theologie der Bekennenden Kirche war sein striktes Luthertum nicht vereinbar, obwohl Sasse an der Vorbereitung der Barmer Theologischen Erklärung mitgewirkt hatte. Auf der Barmer Bekenntnissynode selbst lehnte Sasse die dort beschlossene Erklärung ab, da eine die Konfessionen übergreifende Erklärung das Bekenntnis verletze. Den Bemühungen der lutherischen Landeskirchen, sich enger zusammenzuschließen, stand er hingegen positiv gegenüber.


Im Februar 1946 wurde Sasse zum ordentlichen Professor ernannt, die Militärregierung setzte ihn als Prorektor ein und ließ sich von ihm Memoranden über seine Fakultätskollegen erstatten. 1948 trat Sasse aus Protest gegen die Gründung der Evangelischen Kirche in Deutschland und wegen des Beitritts der bayerischen Landeskirche zur altlutherischen Kirche über. Im Sommer 1949 ging er an das Immanuel Theological Seminary der Vereinigten Lutherischen Kirche im australischen North Adelaide. Hier fand er eine theologische Freiheit, die er in Erlangen vermisst hatte, da er den Bekenntnisstand der Lutheraner nicht mehr gewahrt sah.


Während des 2. Weltkrieges versandte die bayerische Landeskirche sog. Berufshilfen an ihre Pfarrer. Diese kurzen Texte – verfasst von Mitgliedern der Kirchenleitung oder auch von prominenten Theologen und vielfach aus Vorträgen hervorgegangen – sollten die Pfarrer über aktuelle Fragen aus Seelsorge und Wissenschaft informieren.


Während einer der Themenschwerpunkte der Umgang mit dem Tod war, wurden im Juli und August 1944 zwei diametral verschiedene Beiträge zum christlich-jüdischen Verhältnis verteilt. Im Juli 1944 erhielten die Pfarrer eine Abhandlung des Jenaer Alttestamentlers Gerhard von Rad (1901–1971) über Das christliche Verständnis des Alten Testaments. Dieser Text basierte auf einem Vortrag vom Vorjahr vor bayerischen Pfarrern und sollte nun auch den damals Nicht-Anwesenden zugänglich gemacht werden. Von Rad betonte die unauflösliche Verbindung von Altem und Neuem Testament und die Vorwegnahme der christlichen Gemeinde im alten Israel. Mit der gegenwärtig üblichen Ablehnung des Alten Testaments könne das Neue Testaments nicht verstanden werden.


Im Folgemonat – eventuell eine taktische Maßnahme, um in der Folge des Attentats auf Hitler vom 20. Juli 1944 Systemnähe zu bezeugen – erhielten die Pfarrer einen Vortrag des Tübinger Neutestamentlers Gerhard Kittel (1888–1948) Über die Entstehung des Judentums zugesandt, den Kittel an der Universität Wien gehalten hatte. Darin erklärte er u. a., dass Judenemanzipation und Assimilation der Freilassung eines Dämons gleich kämen und in das Verderben führten.


Gegen die Verbreitung dieses Machwerks durch die Landeskirche protestierte Sasse am 28. August 1944 in einem Brief an Landesbischof Hans Meiser (1881–1956) zur kirchlich-theologischen Lage. Kittel sei radikaler Deutscher Christ, der als Mitarbeiter am „Reichsinstitut für Geschichte des Neuen Deutschlands“ der NS-Rassenpolitik vom Neuen Testament her Beihilfe leiste. Für bayerische Pfarrer seien Kittels Ausführungen indiskutabel, zumal die Mitschuld der Kirche an gewissen Vorgängen – damit dürfte die Judenverfolgung- und Vernichtung gemeint sein – schon jetzt groß genug sei, um auch noch Kittels Gedanken verbreiten zu müssen.


Quelle / Titel


  • © Landeskirchliches Archiv Nürnberg, Pers. 36, Nr 108

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