Statt innerer Emigration Würdigung des Widerstands


  • 1tes Bild zum Dokument
    Bildlupe
  • 2tes Bild zum Dokument
    Bildlupe

Ricarda Huch war im September 1936 zur Familie ihrer Tochter nach Jena gezogen. Wenig später wurden sie und ihr Schwiegersohn Franz Böhm wegen ihrer Kritik an der antijüdischen Ideologie während einer Abendgesellschaft denunziert. Es folgten mehrere Prozesse, in deren Folge Franz Böhm 1938 ein Lehr- und Berufsverbot erhielt. Auch Ricarda Huch wurde der Heimtücke beschuldigt. Ihre Werke wurden zensiert und ihre Geschichte des Deutschen Reiches wegen der Würdigung des Judentums öffentlich angegriffen. In diesen Jahren begann die Familie ein Netzwerk des Widerstandes aufzubauen (u. a. Marie Baum, Elisabeth von Thadden, Freiburger Kreis, Carl Friedrich Goerdeler, Helmut Gollwitzer, Emil Henk). Unterstützt wurde sie dabei durch die Sekretärin Ricarda Huchs, Antje Bultmann Lemke.


Am 18. Juli 1944, zum 80. Geburtstag von Ricarda Huch, führten Freunde und Familie das Theaterstück Die Himmelsgabe auf, das Franz Böhm verfasst hatte. Durch mythologische Figuren wurde dabei menschliche Hybris, Krieg und Diktatur kritisiert. Zum Schluss bekam die Jubilarin den himmlischen Auftrag: Die Besten sammle Dir als treue Herde, Und führ der Götter Sache auf Erde / Die Vollmacht, die uns ward, sei dir zuteil! (S. 26)


Am gleichen Tag bekam sie einen Preis ihrer Heimatstadt Braunschweig und ein Glückwunschtelegramm aus dem Büro Hitlers. Ricarda Huch hatte, wie sie selbst sagte, nicht die Geistesgegenwart (zit. nach W. M. Schwiedrzik, Huch, 27), diese Ehren in passender Form abzulehnen. Als zwei Tage später, am 20. Juli 1944, das Attentat auf Hitler scheiterte und die Verhaftungen und Hinrichtungen vieler Nazigegner folgten, fasste sie den Plan, ihrem Gedächtnis Male zu errichten (Zitat aus dem Gedicht An unsere Märtyrer, Abdruck u. a. bei W. M. Schwiedrzik, Huch, 29).


So schrieb sie wenig später in dem Gedicht An unsere Märtyrer:


Wir vergessen euch nicht. Oft wird euer tragisches Opfer / Unser Gespräch sein, den Enkeln künftig ehrwürdige Sage (Ebd.)


Die Poetin und Historikerin glaubte daran, dass Geschichte einer Gesellschaft Orientierung geben kann und dass die Erneuerung der deutschen Gesellschaft von innen her erreicht werden muss (Neue Auslese 12, 1948, 12). So begann sie in den letzten Kriegsmonaten mit großem Eifer Material für Lebensbilder der Widerstandskämpfer für ein neues Deutschland zu sammeln.


Nach Kriegsende engagierte sich Ricarda Huch in Jena beim Aufbau demokratischer Strukturen. Sie gehörte zum Beraterkreis des Jenaer Oberbürgermeisters und wurde Alterspräsidentin des Thüringer Landtages. Franz Böhm war kurz vor Kriegsende nach Freiburg zurückgekehrt und wirkte als Universitätsreformer, Kultusminister und Bundestagsabgeordneter. Er führte für Deutschland die ersten Entschädigungsverhandlungen mit Israel und der Jewish Claims Conference.


1928 gab es im Thüringer Evangelischen Gesangbuch zwei Lieder von Ricarda Huch, in den Nachkriegsgesangbüchern war die große Protestantin nicht mehr vertreten.


Quelle / Titel


  • © 1: Familie Lemke; Romantikerhaus Jena; 2: Buch aus dem Privatbesitz von Christian Dietrich.

Verwandte Inhalte