„Büro Pfarrer Grüber“


  • 1tes Bild zum Dokument
    Bildlupe
  • 2tes Bild zum Dokument
    Bildlupe

In der evangelischen Kirche setzten sich nur Einzelne für die aus rassischen Gründen verfolgten Christen ein. Offizielle Hilfe von Seiten der Deutschen Evangelischen Kirche oder der Inneren Mission blieb aus. Aber auch die Verantwortlichen der Bekennenden Kirche waren bis 1938 meist untätig, obwohl sie aus ihren eigenen Reihen – vor allem von Marga Meusel und Elisabeth Schmitz – wiederholt aufgefordert worden waren, sich der verfolgten Christen anzunehmen und eine zentrale kirchliche Hilfsstelle für die Betroffenen einzurichten.


Erst Ende Mai 1938 gelang es Hermann Maas, die Bekennende Kirche zum Handeln zu bewegen: Martin Albertz, Mitglied des obersten Leitungsgremiums der Bekennenden Kirche, beauftragte den Berlin-Kaulsdorfer Pfarrer Heinrich Grüber, Hilfe für rassisch verfolgte Christen zu organisieren. Heinrich Grüber verfügte über Kontakte zum Ausland, hatte bereits seit Mitte der 1930er-Jahre einzelnen Verfolgten zur Auswanderung aus Deutschland verholfen und war für die Gestapo noch relativ unbelastet. Als Christ sah er sich durch das biblische Gleichnis vom barmherzigen Samariter zur Hilfeleistung verpflichtet.


Grüber handelte rasch: Innerhalb weniger Monate gelang es ihm, in zahlreichen Landeskirchen weitere Mitarbeiter zu gewinnen und ein deutschlandweites Netzwerk von zuletzt 22 Hilfseinrichtungen aufzubauen. Zugleich erreichte er für seine Aktivitäten die staatliche Duldung – insbesondere der Gestapo –, ohne die eine organisierte Hilfe unmöglich gewesen wäre. Ende 1938 mietete er für die schnell wachsende zentrale Hilfsstelle in Berlin Büroräume in der Oranienburger Straße 20 an. Als Name der Hilfsstelle bürgerte sich schon bald die Bezeichnung „Büro Pfarrer Grüber“ ein.


Nach dem Novemberpogrom vom 9./10. November 1938 leiteten die Nationalsozialisten die Phase der gezielten Vertreibung der Juden ein. Im Büro Pfarrer Grüber suchten täglich 100 bis 120 rassisch verfolgte Christen Hilfe. Die Abteilung Auswanderung expandierte so schnell, dass schon Anfang 1939 zusätzliche Büroräume im Haus „An der Stechbahn 3–4“ angemietet werden mussten. Der Mitarbeiterstab der Hilfsstelle wuchs bis Mitte 1939 auf 35 meist selbst von den Nürnberger Gesetzen betroffene Personen an. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs konnte das Berliner Büro Pfarrer Grüber 1138 Menschen zur Auswanderung verhelfen.


Neben der Abteilung Auswanderung bemühten sich weitere Abteilungen um die materielle Not von Armen und Erwerbslosen, um Heimplätze für Alte und Kranke, um die seelsorgerliche Betreuung verzweifelter Menschen und die Beschulung von Kindern und Jugendlichen. Seit Mitte November 1938 durften Schüler, die nach den Nürnberger Gesetzen als jüdisch galten, keine öffentlichen Schulen mehr besuchen. 1939 fand im Büro Pfarrer Grüber die von Vikarin Klara Hunsche geleitete „Familienschule Oranienburger Straße“ Platz. Der Unterricht wurde von Lehrerinnen gehalten, die selbst aus rassischen Gründen verfolgt wurden.


Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs schlossen die europäischen Staaten ihre Grenzen für deutsche Flüchtlinge. Während die Juden in Deutschland aus ihren Wohnungen vertrieben und ihrer letzten Habe beraubt wurden, bemühte sich Heinrich Grüber, Flüchtlinge in nicht europäischen Staaten unterzubringen.


Als 1940 die ersten Deportationen stattfanden, legte er bei staatlichen Stellen Protest ein. Im Dezember 1940 wurde er verhaftet und in ein Konzentrationslager gebracht. Das Büro Pfarrer Grüber wurde von der Gestapo geschlossen. Wenig später wurde auch Grübers Stellvertreter, Pfarrer Werner Sylten, in ein Konzentrationslager verschleppt und im August 1942 in einer "Euthanasie"-Tötungsanstalt in Österreich ermordet.


Das Büro Pfarrer Grüber und seine Außenstellen haben zwischen 1700 und 2000 Menschen die Ausreise ermöglicht und ihnen damit das Leben gerettet. Legale Hilfe konnte nur geleistet werden, solange die Auswanderung den Interessen des nationalsozialistischen Staates entsprach. Die nach Schließung des Büros einsetzende systematische Ermordung der Juden in den Vernichtungslagern hat auch zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Grübers das Leben gekostet. Hilfe für die vom Tod bedrohten Christen jüdischer Herkunft war nur noch im Verborgenen möglich.


Quelle / Titel


  • © Landeskirchliches Archiv Nürnberg, KKE 71

Verwandte Inhalte