Subtile Kritik an Rosenbergs „Mythus“

Alfred Rosenberg (1893–1946, hingerichtet) galt als der „Chefideologe“ der Nationalsozialisten. Sein Buch „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ von 1930 avancierte zur wichtigsten Publikation der Nationalsozialisten nach Hitlers „Mein Kampf“. Es spricht für Winterbergs Mut und den Willen, die geistige Auseinandersetzung im Zentrum und nicht bloß an der Peripherie zu führen, wenn er sich entschloss, in einem Vortrag in der Koblenzer Christuskirche im August des Kriegsjahres 1943 den Thesen Rosenbergs öffentlich zu widersprechen.

Zwar konnte Winterberg es wohl nicht wagen, Rosenberg und dessen „Mythus“ direkt anzugreifen; womöglich wäre die Veranstaltung auch sofort staatspolizeilich verboten und aufgelöst worden. Geschickterweise hatte Winterberg das Thema seines Vortrags wie folgt formuliert: „Recht und Grenze der Mystik, insonderheit bei Meister Eckhart“, und Rosenberg und sein „Mythus“ wurden in dem Vortrag nicht ein Mal erwähnt. Auf dem Umweg über Meister Eckhart, auf den Rosenberg sich in seinem Buch berufen hatte, setzte Winterberg sich dann allerdings – für diejenigen, die mit Rosenbergs „Mythus“ vertraut waren, unverkennbar – doch kritisch mit Rosenberg auseinander.

Er sprach u. a. von Falschmünzerei, von der Umbiegung und Mißdeutung Meister Eckharts, von dem Versuch, diesen zu einem Vorbild deutscher Religiosität, eines deutschen Gottglaubens ohne die Notwendigkeit der Erlösung, ohne den Beigeschmack des sündigen und daher vergebungsbedürftigen Menschen [zu] stempeln, und von der Vergottung des Menschen. (I. Gregorius u.a., Gegen den Strom, S. 48) Die Mystik finde, so Winterberg, ihre Grenze im Evangelium, vor allem im Kreuz Jesu Christi. Das Kreuz nun aber war für Rosenberg ein ausgesprochener Gräuel; in seinem „Mythus“ forderte er nicht weniger als die gänzliche Abschaffung bzw. Ersetzung sämtlicher Kreuzesdarstellungen, selbst in den Kirchen und an den Wegen, da sie für den Betrachter eine defätistische Wirkung hätten.