Wahlverweigerungen II


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In Kirchheim votierte das Pfarrerehepaar Otto und Gertrud Mörike gegen die zweite Frage der Volksabstimmung vom 10. April 1938 und legte ihren Wahlumschlägen Begründungen für ihre ablehnende Haltung bei. Mörikes Erklärung wurde im Rahmen einer Nachfeier zur Wahl öffentlich verlesen, woraufhin eine ansehnliche Gruppe von Männern vor das Pfarrhaus zog und in Sprechchören skandierte: Wir wollen den Verräter sehen!, Pfui!, Heraus mit dem Hund!, Verhauen! (G. Schäfer, Dokumentation 5, 939). Die Haustüre wurde aufgebrochen, Mörike aus dem Schlafzimmer geholt und blutig geschlagen. Er wurde verhaftet und nach Stuttgart ins Gefängnis gebracht.


Vier Tage später, am Gründonnerstag, wurde er auf Weisung aus Berlin entlassen. Als er wenige Tage später ins Pfarrhaus zurückkehrte, um Kleidung für eine geplante Urlaubsreise abzuholen, versammelte sich erneut eine schnell wachsende Gruppe junger Leute vor dem Pfarrhaus. Sie riefen unter anderem: Wir dulden keine Vaterlandsverräter (G. Schäfer, Dokumentation 5, 944). Mörike wurde erneut verhaftet und unter dem Johlen der Massen ins Gefängnis gebracht. Als er bald darauf entlassen wurde, beschied man ihm, an „eine Rückkehr [….] nach Kirchheim [sei] nicht mehr zu denken (G. Schäfer, Dokumentation 5, 945). Mörike musste Kirchheim verlassen und übernahm schließlich die Pfarrstelle Flacht.


Auch in Neckartailfingen schlugen sieben Nein-Stimmen erhebliche Wellen. Sechs Personen hatten ihr Nein aus religiösen Gründen abgegeben, darunter ein Gärtnermeister und die Besitzer eines Eisenwarenladens (G. Schäfer, Dokumentation 5, 954). Neben einem Demonstrationszug und eingeworfenen Scheiben wurde als Ausdruck des Abscheus gegen diese „Volksverräter“ seitens der örtlichen SA auch ein Boykott ihrer Geschäfte verhängt. Daraufhin richtete der örtliche Vertrauensmann der Bekenntnisgemeinschaft, Pfarrer Ludwig Hermann (geb. 1895), ein Rundschreiben an Pfarrfamilien der Umgebung und ermutigte sie, aus Verbundenheit des Glaubens zu öffentlichem Einkauf bei den Betroffenen am hellen Tag (G. Schäfer, Dokumentation 5, 955).


Auch der aushilfsweise in Neckartailfingen tätige Pfarrer Theodor Dipper (1903–1969) unterstützte die Gebrandmarkten engagiert. Hermann, Dipper und der Pfarrer des Nachbarortes, Jakob Weimer, bei dem die Gestapo ein Exemplar des Rundschreibens gefunden hatte, wurden am 15. Dezember 1938 verhaftet. Während Hermann und Weimer bald wieder entlassen wurden, blieb Dipper in Haft und wurde am 3. Januar 1939 in das Schutzhaftlager Welzheim überführt. Nach einer Intervention von Landesbischof Theophil Wurm (1868–1953) beim Reichsführer SS, Heinrich Himmler (1900–1945), wurde Dipper am 20. Januar aus der Haft entlassen.


Quelle / Titel


  • © 1+2: Landeskirchliches Archiv Stuttgart D1, 77

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