Wahlverweigerungen I


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Die propagandistisch groß herausgestellte Volksabstimmung vom 30. April 1938 veranlasste auch den Evangelischen Oberkirchenrat Stuttgart, die Pfarrer anzuweisen, am Wahltag im Schlussgebet folgende Passage aufzunehmen:


Wir danken Dir [Gott] dafür, daß wir uns als deutsche Brüder haben zusammenfinden dürfen. Halte Du Deine Hand über dem Geschehen dieses Tages und gib, daß unserem Volke Segen daraus erwachse zur Ehre Deines Namens (G. Schäfer, Dokumentation 5, 923).


Zudem wurde angeregt, wegen der Inanspruchnahme von Hitler-Jugend und Bund Deutscher Mädel an diesem Tag keine Christenlehre abzuhalten.


Die Bürgerinnen und Bürger sollten bei der Abstimmung gleichzeitig ihr Einverständnis mit der „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ und ihre Zustimmung „für die Liste unseres Führers“ bekunden. Die örtlichen Parteikreise setzten alles daran, eine hundertprozentige Zustimmung zu erreichen. Daher wurde oft auf Wahlkabinen bewusst verzichtet – geheime Stimmabgabe sei nicht mehr zeitgemäß – oder Mitglieder der Wahlkommission füllten die Stimmzettel gleich selbst aus. Auch die Auszählung eröffnete Manipulationen Tür und Tor.


In dieser Situation sich zu enthalten oder gar mit NEIN zu stimmen, war eindeutiger Protest gegen das Regime und dessen Politik. Im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart befinden sich einige Belege, dass Personen aufgrund ihrer christlichen Haltung insbesondere den zweiten Teil der Frage nicht bejahen konnten und dies auch zum Ausdruck brachten.


Der noch im Pfarrhaus wohnende, sich freilich seit 1. April 1938 in Ruhestand befindliche Pfarrer Karl Stahl (1878–1946) verließ das Wahllokal in Pleidelsheim, als er keine Wahlkabinen vorfand. Stahl war damit der einzige in diesem Dorf, der nicht abstimmte und daher auch den vom Oberkirchenrat angeordneten Dankgottesdienst nicht durchführte. Dem zuständigen Dekan gegenüber erklärte Stahl, er begrüße zwar die Wiedervereinigung, könne aber der Liste zum Reichstag nicht zustimmen. Für Stahl hatte seine Verweigerung keine weiteren Folgen; der Dankgottesdienst wurde von seinem Vertreter übernommen.


In Meimsheim beantworteten der örtliche Leiter der Hahn’schen Stunde und seine Frau die erste Frage zum Anschluss Österreichs mit JA, strichen die zweite aber durch. Sie wollten damit ihren Protest gegen die Kirchenpolitik der Regierung, mit Rosenberg insbesondere, zum Ausdruck bringen (G. Schäfer, Dokumentation 5, 925). Noch am selben Tag formierte sich ein Fackelzug, der vor dem Haus der Familie die üblichen Schimpfworte ‚Staatsfeind‘, ‚Volksverräter‘ und ähnliches anstimmte (G. Schäfer, Dokumentation 5, 926).


In Albdorf Würtingen gab es zwei Nein- und zwei ungültige Stimmen; letztere hatten Pfarrer Karl Dipper (geb. 1907) und seine Frau abgegeben. Am Tag darauf erreichte die Pfarrfamilie ein Schmähbrief, die Haustüre wurde verunreinigt, in vier Fenstern Scheiben eingeworfen und ein Plakat gegen den Pfarrer aufgehängt. Insbesondere wurden die zwei Nein-Stimmen von den örtlichen Parteioberen als tiefe Beschämung empfunden. Für die Haltung der „Vaterlandsverräter“ wurde eine konfessionelle Engstirnigkeit konstatiert und Protestzüge durch den Ort sollten die Nein-Sager veranlassen, sich zu erkennen zu geben. Als sich niemand meldete, wurde dies als Beweis dafür angesehen, daß ein Verräter immer zugleich der größte Feigling sei (G. Schäfer, Dokumentation 5, 933).


Quelle / Titel


  • © 1–3: Landeskirchliches Archiv Stuttgart, D1, 76

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