Mehrheitsverhältnisse in der evangelischen Kirche


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Wegen seiner Gewaltakte gegen innerkirchliche Gegner und zahlreicher Rechtsbrüche hatten der Reichsbischof und die Deutschen Christen Anfang 1935 bei der Mehrheit der evangelischen Pfarrer und Gemeindemitglieder jeden Kredit verspielt. Zudem hatte Reichsbischof Ludwig Müller Hitlers Erwartungen enttäuscht, er werde die evangelische Kirche dem NS-Staat gleichschalten. Damit hatte er auch die Unterstützung von Staat und Partei verloren.


Jetzt machte sich die Bekennende Kirche Hoffnungen, dass sie ihre Vorstellungen durchsetzen und staatliche Anerkennung finden könnte. Die Ablehnung des Kirchenregiments unter Ludwig Müller, wie sie eine Karte zum „Stand des Kirchenkampfes in Deutschland“ zeigte, bedeutete allerdings nicht im Umkehrschluss die Zustimmung der Mehrheit von Pfarrern und Gemeinden zu den Zielen der Bekennenden Kirche. Viele Kirchengemeinden waren durch die kirchenpolitischen Kämpfe von 1933/34 kaum berührt und der kirchliche Alltag ging seinen gewohnten Gang. Die meisten Pfarrer und Gemeinden hatten sich weder der Bekennenden Kirche noch den Deutschen Christen angeschlossen und verhielten sich kirchenpolitisch neutral.


Der Widerstand gegen das Kirchenregiment Ludwig Müllers bedeutete zudem keine Ablehnung der politischen Verhältnisse unter dem NS-Regime. Vielmehr waren die meisten Protestanten zufrieden über die nach der Weimarer Republik wieder „geordneten“ politischen Verhältnisse und die zunehmend spürbarer werdenden wirtschaftlichen, innen- und außenpolitischen „Erfolge“ des NS-Staates. Diese Zufriedenheit teilten alle kirchlichen Gruppen, nicht nur die Deutschen Christen und die etwa die Hälfte des deutschen Protestantismus ausmachende kirchenpolitisch neutrale „Mitte“, sondern auch die Bekennende Kirche.


Als 1935 das Reichskirchenministerium gebildet und Ludwig Müller entmachtet wurde, entstand eine neue Lage, die sich auch auf die innerkirchlichen Kräfteverhältnisse auswirkte. Nach zermürbenden Auseinandersetzungen über die Frage, ob sie mit dem Ministerium zusammenarbeiten dürfe, zerbrach die Bekennende Kirche 1936 in zwei Flügel, was ihre Position nachhaltig schwächte. Manche Mitglieder der Bekennenden Kirche wandten sich auch der neutralen „Mitte“ zu, die vom Reichskirchenminister umworben wurde und kirchenpolitisch aktiv zu werden begann. Bei den Deutschen Christen verlagerte sich das Gewicht auf die radikal nationalsozialistischen „Thüringer Deutschen Christen“, während die gemäßigten Deutschen Christen zur Bedeutungslosigkeit herabsanken.


Quelle / Titel


  • ©Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte München, A 1.7

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