Karl-Heinz Becker: Hitler als Kanzler ungeeignet


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Einer der entschiedensten und scharfsinnigsten Gegner der nationalsozialistischen Ideologie in der Weimarer Republik war der fränkische Pfarrer Karl-Heinz Becker (1900–1968). Stammten die Kritiker Adolf Hitlers und der NSDAP sonst vor allem aus den Kreisen politisch liberaler Kulturprotestanten oder Religiöser Sozialisten, hatte Becker eine deutschnationale Prägung. Umso mehr ragte seine Kritik an Hitler heraus, die an Deutlichkeit, Schärfe und politischer Sachkenntnis ihresgleichen suchte.


Becker hörte Hitler erstmals 1920 im Münchner Hofbräuhaus. Seitdem hatte er für Hitlers Persönlichkeit, seinen Redestil und seine rassistische Agitation nur Verachtung übrig. Angesichts der Radikalisierung des politischen Lebens warnte Becker seine kirchlichen Vorgesetzten seit 1931 unermüdlich vor einer christlich verbrämten NS-Ideologie, der immer mehr Pfarrer zuneigten. Nach Becker propagierte der Nationalsozialismus Grundsätze, die sogar diejenigen Macchiavellis an Skrupellosigkeit überträfen. Inhaltlich und ihrem Verhalten nach verstoße die NSDAP gegen alle sittlichen Grundsätze.


Zugleich forderte Becker ein Einschreiten der Kirchenleitung gegen Pfarrer, die mit der NSDAP sympathisierten, da sie die Kirche in den Augen politisch Andersdenkender kompromittierten. Die Kirche als wichtigste moralische Instanz müsse aktiv werden, da die Verrohung der politischen Sitten zunehme und sich eine nicht mehr gutzumachende Verwilderung und Vergiftung des öffentlichen Lebens ausbreite, die auch in die Kirche selbst eindringe. Dies zeige sich besonders auf Tagungen der Inneren Mission oder der Arbeitsgemeinschaft für Volksmission zum Thema Nationalsozialismus und Kirche (Schreiben an Kirchenpräsident Veit vom 17. Oktober 1931).


Becker machte seine Warnungen in Zeitungsartikeln und Leserbriefen bayernweit publik. Dabei stützte er sich auf die Lektüre von Hitlers „Mein Kampf“, seine Kenntnisse in der schwedischen Theologie und seine Prägung durch Karl Barth (1886–1968). Im April 1932 behandelte er „Das politisch-ethische Problem der Gegenwart“. In dieser Schrift kritisierte er die Erhebung des Opportunismus zum Grundsatz durch den Nationalsozialismus, der die Prinzipien des menschlichen Zusammenlebens gefährde, da staatliche Ordnung Sittlichkeit benötige. Hitlers Politikstil beurteilte er als zynisch, unverantwortlich und reine Demagogie (122).


Von seiner Kirche forderte Becker die Abkehr von ihrer Passivität gegenüber der Radikalisierung und Demoralisierung der Parteipolitik. Bleibe sie weiter untätig, mache sie sich einer Versäumung ihrer ethischen Führerpflicht gegenüber dem Volk und vor allem gegenüber der Jugend schuldig (138).


Während Becker für seine Hitler-kritischen Ausführungen im katholischen „Bayerischen Kurier“ vom 1. Mai 1932 große Zustimmung erhielt, blieb seine Initiative zur Reichspräsidentenwahl am 13. März 1932 erfolglos. In einem Schreiben vom 4. März hatte Becker versucht, führende Männer der Landeskirche dazu zu bewegen, Theologen, Staatsbeamte und weitere Persönlichkeiten zu sammeln, die Hitler öffentlich vor die Frage stellen sollten, ob er im Fall seiner Wahl wirklich ... für „positives Christentum“ eintreten oder an Anschauungen festhalten wolle, die weder mit dem Eintreten für „positives Christentum“ noch mit einer jeden [!] sittlich noch einwandfreien Staatsauffassung überhaupt zu vereinigen seien (Landeskirchliches Archiv Nürnberg, Personen XLI, Nr. 9).


Zeitgleich zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten intensivierte Becker seine antinationalsozialistischen Aktivitäten. So setzte er sich in seiner Schrift „Pastorenbrief“ mit der „Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialistischer Evangelischer Pfarrer“ auseinander. Um die Brutalität des Nationalsozialismus und die Folgen für Andersdenkende aufzuzeigen, listete er zahlreiche Stellen aus Hitlers „Mein Kampf“ auf. Er erklärte die NS-Ideologie mit den ethischen Grundsätzen des Christentums für unvereinbar und prognostizierte, der Weltanschauungskampf der Fäuste werde sich künftig auch gegen das Christentum richten (K.-H. Becker, Pastorenbrief, 23). Die Arbeitsgemeinschaft der NS-Pfarrer betreibe bewusste Irreführung der Bevölkerung und missbrauche dazu die Religion.


Becker verfolgte außerdem den Plan, einen offenen Brief an den Reichspräsidenten zu schicken. Deshalb wandte er sich am 6. Februar 1933 an den Münchner Landeskirchenrat. Dabei warf er die Frage auf, ob sein Plan angesichts der Notverordnung zum Schutze des Deutschen Volkes vom 4. Februar 1933 überhaupt zulässig sei bzw. ob Zeitschriften, die seinen Text druckten, mit nachteiligen Folgen zu rechnen hätten. Für diesen Fall bat er die Kirchenleitung, bei den zuständigen Stellen zu intervenieren, da dies zweifellos eine Beeinträchtigung der Freiheit kirchlicher Wortverkündigung durch staatlichen Gesinnungszwang darstelle (F. W. Kantzenbach, Einzelne, 195).


In seinem Brief an den Reichspräsidenten nahm Becker dann den Inhalt seines „Pastorenbriefs“ wieder auf und erklärte: Die öffentliche Herrschaft einer derartigen sittlich unhaltbaren Auffassung vom Christentum wie der des Herrn Reichskanzlers Hitler kann nur als eine nicht erträgliche moralische Belastung unseres gesamten Volks- und Staatslebens bezeichnet werden, aus der sich die allerschwersten Gefahren für die Grundlagen unseres völkischen Daseins ergeben (Evangelisches Zentralarchiv in Berlin, 1/766).


Beckers Brief gelangte vom Präsidialamt an den Deutschen Evangelischen Kirchenbund. Dort wurde er ad acta gelegt. Wenige Tage zuvor hatte er einen inhaltlich sehr ähnlichen Brief an den bayerischen Staatsminister für Unterrichts- und Kirchenangelegenheiten gesandt, in der er Hitler rundweg die sittliche Eignung zur Staatsführung absprach.


Quelle / Titel


  • © Evangelisches Zentralarchiv in Berlin, Best. 1 Nr. 766

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