Hilfsstellen für „Glaubensgenossen in Not“


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Von Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft an forderten protestantische Laien und Geistliche – gegen den kirchlichen Mainstream – ihre Kirche immer wieder zum Protest gegen die Rassenpolitik auf. Polizeimaßnahmen, die Fixierung auf den innerkirchlichen Streit und die eigene partielle Übereinstimmung mit der Politik des Regimes verhinderten aber ein Eintreten der Kirche für aus rassischen Gründen Verfolgte. Auch die bayerische Landeskirche beließ es beim Schweigen. Erst im Mai 1938 konnte die Führung der Bekennenden Kirche zum Handeln zugunsten rassisch verfolgter Protestanten bewegt werden. Unter der Leitung des Berliner Pfarrers Heinrich Grüber (1891–1975) sollte Hilfe zur Auswanderung geleistet werden.


Ende September 1938 ersuchte Grüber die Bischöfe Theophil Wurm (1868–1953) in Stuttgart und Hans Meiser (1881–1956) in München um Unterstützung. Schon zwei Tage nach Grübers Anfrage beschloss der Landeskirchenrat, „Glaubensgenossen in Not“ – so die Sprachregelung, mit der die christliche Gemeinsamkeit und nicht die ideologisch definierte rassische Verschiedenheit betont wurde – und ihre Familien zu unterstützen. Damit traf die Landeskirche eine angesichts ihrer bisherigen Passivität in dieser Deutlichkeit nicht zu erwartende Entscheidung.


Zunächst wurde der 1. Vereinsgeistliche der Inneren Mission in München, Friedrich Hofmann (1904–1965) mit der Fürsorge für rassisch verfolgte Protestanten betraut. Großen Illusionen über den Erfolg der Arbeit gab er sich nicht hin.


Über die Finanzierung der Hilfsarbeit war man sich in der Kirchenleitung schnell einig. Der Geldbedarf wurde auf bis zu 10.000,– RM jährlich festgelegt, obwohl über die tatsächliche Form der Arbeit noch Unklarheit bestand. Die Landeskirche unterstützte aber nicht nur die eigenen Hilfsstellen weit über das generelle Auswanderungsverbot vom Oktober 1941 hinaus bis 1945 großzügig, auch das Büro Pfarrer Grüber wurde in bemerkenswertem Umfang bedacht.


Da nach dem Novemberpogrom 1938 der Betreuungsbedarf stark anwuchs, war Hofmann damit allein überfordert. Er bat daher den Landesbischof, eine hauptamtliche Kraft zu berufen. Parallel zu diesen Ereignissen musste sich die Landeskirche mit der Situation ihrer sog. nichtarischen Pfarrer befassen, die wegen des neuen bayerischen Schulgesetzes einen Ariernachweis abgeben mussten. Zu ihnen zählte u. a. Johannes Zwanzger (1905–1999) aus Thüngen, der zum 1. Januar 1939 als Pfarrer und Helfer Hofmanns zur Inneren Mission nach München berufen wurde. Die zweite, bei der Inneren Mission in Nürnberg angesiedelte Stelle wurde mit Pfarrer Hans Werner Jordan (1908–1978), nach den NS-Rassegesetzen ein Mischling I. Grades, dessen Familie bereits stark unter der Rassenverfolgung zu leiden hatte, besetzt.


Im Januar 1939 wurde zeitgleich mit dem Beginn der Betreuung den Behörden die Existenz der Hilfsstellen mitgeteilt, um den Verdacht der Illegalität zu vermeiden. Mehr als die Kenntnisnahme durch die Gestapo in München und Nürnberg wurde nicht erreicht.


Jordan und Zwanzger berichteten ihren Vorgesetzten regelmäßig über ihre Arbeit. So gelangten präzise Informationen über die Zahl der Hilfsbedürftigen und über die Erfolgsquote der Arbeit an die Verantwortlichen. Diese erfuhren auch genauestens, welche Folgen jeder Schritt der NS-Rassenpolitik für die Betroffenen hatte. Zwanzger informierte Bischof Meiser darüber hinaus in Vier-Augen-Gesprächen regelmäßig über die Lage. Daraus resultierte Mitte 1941 die Überlegung Meisers, anhand ausgewählter Fälle bei Reichsmarschall Hermann Göring (1893–1946) vorstellig zu werden.


Der Kreis der hilfesuchenden Personen umfasste ein breites gesellschaftliches Spektrum, freilich lag das Alter der Hilfesuchenden üblicherweise weit über dem, das für Aufnahmeländer interessant war. Jordan und Zwanzger mussten zudem nicht nur auf die immer schärfer werdenden Ausreisebestimmungen und Geldforderungen des Staates reagieren; eine ebenso große Herausforderung war die restriktive Einwanderungspolitik möglicher Aufnahmeländer selbst bei bester Qualifikation.


Die Hilfe der beiden Pfarrer, mit der sie die staatlich betriebene Ausgrenzung, Entrechtung und Isolation der sog. Nichtarier konterkarierten, lässt sich neben der Beratung in Alltagsfragen und der nicht zu unterschätzenden Aufrechterhaltung vorbehaltloser menschlicher Kontakte in folgende, sich überschneidende bzw. ablösende Aufgabenbereiche gliedern:


1.) Die Hauptarbeit war die Betreuung von Auswanderungswilligen, d. h. von rassisch Verfolgten und von Ehepartnern bzw. Kindern, die dem zur Flucht gezwungenen oder bereits ausgereisten Ehegatten, Elternteil oder Kind folgen wollten, sowie die Aufbringung der Reisekosten oder die Vermittlung von im Gastland geforderten Bürgschaften. Die Ausreisewilligen wandten sich direkt an die Hilfsstellen oder wurden v. a. vom Büro Pfarrer Grüber an die für sie zuständige Stelle verwiesen. Zwanzger und Jordan unterstützten diese Menschen bei der Suche nach einem Arbeitsplatz im möglichen Aufnahmeland durch vielfältige Kontakte zu Botschaften und Konsulaten, Hilfsorganisationen und Privatpersonen. Die immer wieder auftauchenden bürokratischen Hindernisse und Schikanen nötigten zu organisatorischen Glanzleistungen, etwa beim Beschaffen von Dokumenten.


2.) Die Suche nach einem Arbeitsplatz war vielfach die zweite Phase der Betreuung, nachdem eine Auswanderung gescheitert war.


3.) Fürsorge und Hilfe bei der Wohnungssuche, beim Kontakt mit Behörden oder der Familie im Fall von Kündigung, Alter, Krankheit oder Haft.


Die Unterbringung alter Menschen war ein besonderes Anliegen Meisers. Daher beauftragte er Zwanzger damit, Vorbereitungen für die Errichtung eines Altersheimes für rassisch Verfolgte zu treffen. Schon im Januar 1939 hatte Pfarrer Friedrich Langenfaß (1880–1965) angeregt, dass die Landeskirche für wohnungslos werdende rassisch verfolgte Christen ein Haus kaufe. Zeitgleich angestellte Überlegungen, die Hilfesuchenden in Heimen der Inneren Mission unterzubringen, hatten sich als nicht realisierbar erwiesen.


Eine wichtige Rolle bei der Hilfe für rassisch verfolgte Christen in Bayern spielten Gemeindepfarrer und die Vereine der Inneren Mission. Sie vermittelten Verfolgte an die Hilfsstellen oder stellten den ersten Kontakt her, sie gaben Leumundszeugnisse und wirkten vor Ort seelsorgerlich.


Über die Zahl der Betreuten und der Ausgewanderten liegen nur bruchstückhaft Zahlen vor. Bis Ende November 1940 verließen 65 der über 530 in München betreuten Personen Deutschland. Eine vergleichbare Bilanz für die Nürnberger Hilfsstelle ist aufgrund der Quellenlage nicht möglich.


Quelle / Titel


  • © 1: Landeskirchliches Archiv Nürnberg, Fotosammlung; 2: Landeskirchliches Archiv Nürnberg, Vereine II, XIV, Nr. 1

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