Kirchenleitung: Mitarbeit in Bekennender Kirche


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Im Herbst 1933 wurde deutlich, dass die Deutschen Christen die evangelische Kirche nicht nur organisatorisch mit dem NS-Staat gleichschalten wollten, sondern auch die NS-Ideologie übernahmen und dabei wesentliche christliche Glaubensinhalte preisgaben.


Als sie in der Reichskirche und den von ihnen beherrschten Landeskirchen den sogenannten Arierparagrafen einführten und die Kirchenmitgliedschaft damit vom nationalsozialistischen Rasseprinzip abhängig machten, erhob sich in der Kirche breiter Protest. Die innerkirchliche Opposition gegen die häretischen Lehren der Deutschen Christen und die deutschchristlichen Kirchenleitungen in der Reichskirche und den Landeskirchen formierte sich im September 1933 unter Pfarrer Martin Niemöller (1882–1984) im Pfarrernotbund.


Auch der bayerische Landesbischof Hans Meiser (1881–1956) stand aufseiten der innerkirchlichen Opposition. Er trat entschieden gegen die Irrlehren der Deutschen Christen, die Rechtsbrüche der Reichskirchenregierung unter Reichsbischof Ludwig Müller (1883–1945) und die Disziplinierung der Notbundpfarrer auf. Schon bald wurde er zum Sprecher der nicht-deutschchristlichen Kirchenführer, zu denen vor allem der württembergische Landesbischof Theophil Wurm (1868–1953) und der hannoversche Landesbischof August Marahrens (1875–1950) gehörten.


In der innerkirchlichen Opposition brachen aber auch schon früh Differenzen auf: Während die lutherischen Bischöfe Meiser, Wurm und Marahrens um die Reinheit der reformatorischen Bekenntnisse fürchteten und den Bestand der Volkskirche erhalten wollten, stand für die Notbundpfarrer unter Niemöller das aktuelle Bekennen des Christuszeugnisses im Vordergrund.


So kam es schon im Januar 1934 zu einem Bruch zwischen den Bischöfen und dem Pfarrernotbund, als sich die Kirchenführer auf massiven Druck Hitlers erneut dem häretischen Reichsbischof unterstellten. Meiser erkannte jedoch kurz darauf seinen Fehler. Die bayerische Landeskirche spielte dann in den folgenden Monaten eine bedeutende Rolle beim Zusammenwachsen der innerkirchlichen Opposition zur Bekennenden Kirche.


Im März 1934 erwirkten Meiser und Wurm einen Empfang bei Hitler, der die Forderungen der kirchlichen Opposition jedoch ablehnte. Berühmt geworden ist Meisers Äußerung, unter diesen Umständen würden die Bischöfe eben des Führers allergetreueste Opposition. Hitler reagierte mit einem Wutanfall und beschimpfte die Bischöfe als Verräter des Volkes, Feinde des Vaterlands und Deutschlands Zerstörer (H. Schmid Wetterleuchten, 62).


Auf Meisers Initiative hin bildeten die süddeutschen Kirchen und die oppositionellen Gruppen in Westfalen eine Kampfgemeinschaft, die bald die oppositionellen Kräfte aus allen Landeskirchen umfasste. Als sich die innerkirchliche Opposition auf dem Ulmer Bekenntnistag im April 1934 zur Bekenntnisgemeinschaft der Deutschen Evangelischen Kirche zusammenschloss, verlas Meiser die Kundgebung, in der sich die Bekenntnisgemeinschaft zur einzig rechtmäßigen Kirche erklärte.


Die erste Reichsbekenntnissynode im Mai 1934 in Barmen, auf der sich die Bekennende Kirche konstituierte und die Barmer Theologische Erklärung verabschiedet wurde, fand unter großer bayerischer Beteiligung statt. Als im Oktober 1934 die bayerische Landeskirche gewaltsam in die Reichskirche eingegliedert werden sollte, solidarisierte sich die gesamte Bekennende Kirche Deutschlands mit Bayern und berief zum zweiten Mal die Reichsbekenntnissynode nach Berlin-Dahlem ein.


Schon im Zusammenhang der ersten beiden Reichsbekenntnissynoden traten die Differenzen innerhalb der Bekennenden Kirche erneut zu Tage. Die Barmer Theologische Erklärung wurde von Bayern zwar mitgetragen, die streng lutherisch-konfessionell geprägte Kirchenleitung blieb zur Barmer Erklärung jedoch auf Distanz.


Ein Mitglied der bayerischen Delegation, der Erlanger Theologieprofessor Hermann Sasse (1895–1976), reiste sogar vorzeitig aus Barmen ab, weil er die Erklärung als Vergewaltigung der evangelisch-lutherischen Gewissen betrachtete (Zitat nach C. Nicolaisen, Herrschaft, 309). Hintergrund der reservierten Haltung der Kirchenleitung war die Furcht, die Erklärung könne als kirchengründendes Bekenntnis einer neuen, „bekennenden“ Kirche verstanden werden, in der Lutheraner, Reformierte und Unierte unterschiedslos vereint sein sollten.


Charakteristisch für den Standpunkt der Kirchenleitung war das Rundschreiben von Landesbischof Meiser an die bayerischen Geistlichen vom 21. Juli 1934, in dem Meiser von einer Kampfgemeinschaft mit den von gleichen Anliegen beherrschten Brüdern aus der Union und in den reformierten Kirchen sprach. Die Barmer Erklärung beurteilte er zwar als ein Zeichen, dass die Gemeinschaft, die sich gebildet hat, in die Tiefe hinunterreicht; zugleich aber betonte er, dass damit niemand ... einer neuen Union Vorschub leisten wolle, und kündigte an, es werde erst noch Aufgabe der lutherischen Theologie sein, die Fragen, die die Barmer Erklärung zur Diskussion gestellt hat, weiter zu klären und einen lutherischen Konsensus ... herbeizuführen.


Auch die Beschlüsse der Reichsbekenntnissynode von Berlin-Dahlem trug die bayerische Kirchenleitung nicht konsequent mit. Auf dieser Synode war das kirchliche Notrecht ausgerufen und beschlossen worden, bekenntniskirchliche Organe der Kirchenleitung zu bilden. Die Reichskirche sollte künftig von einem aus dem Reichsbruderrat gewählten Rat geleitet werden.


Die Bischöfe Marahrens, Meiser und Wurm trafen mit dem Reichsbruderrat im November 1934 dann allerdings eine Vereinbarung, nach der eine „Vorläufige Kirchenleitung“ unter dem Vorsitz des hannoverschen Landesbischofs Marahrens gebildet wurde. Mitglied dieser Kirchenleitung war auch der bayerische Oberkirchenrat Thomas Breit (1880–1966). Niemöller und einige andere traten daraufhin vorübergehend aus dem Reichsbruderrat aus.


Die Auseinandersetzungen über die Bildung der Ersten Vorläufigen Kirchenleitung (VKL) entzündeten sich u. a. an der Person des Vorsitzenden Marahrens, den die Kreise um Niemöller als zu kompromissbereit ablehnten. Vor allem aber bestand Uneinigkeit, auf welchem Weg das gemeinsame Ziel einer bekenntnisgemäßen Reichskirchenleitung erreicht werden sollte: Während die „radikalen“ Bekenner dieses Ziel um jeden Preis erreichen wollten – selbst wenn dies den Verlust der staatlich anerkannten Volkskirche bedeutete – , waren die „gemäßigten“ Kräfte um die lutherischen Bischöfe Marahrens, Meiser und Wurm auf größtmögliche Konformität mit der bestehenden Reichskirchenverfassung und eine Anerkennung durch den Staat bedacht.


Als der Landeskirchenrat den Geistlichen in einem Schreiben vom 11. Dezember 1934 die Gründe für die Bildung der VKL erläuterte, verzichtete er auf eine Darstellung der in der Bekennenden Kirche aufgetretenen Differenzen. Neben der Bekenntnisbindung betonte er vor allem die Nähe der VKL zur bestehenden Reichskirchenverfassung und ihre Vorläufigkeit bis zur Einsetzung einer verfassungsmäßigen Leitung.


Das Verhältnis der bayerischen Kirchenleitung zur Bekennenden Kirche blieb bis zum Ende der NS-Herrschaft brüchig: Bereitschaft zur Mitarbeit in einer Kampfgemeinschaft gegen die Deutschen Christen und kirchenfeindliche Maßnahmen des NS-Staates, aber keine Kirchengemeinschaft mit Reformierten und Unierten; Bereitschaft zur Beteiligung an gemeinsamen Gremien, aber nur sofern dies nicht von vornherein den Verlust der staatlichen Anerkennung und damit der Wirkungsmöglichkeiten in einer Volkskirche bedeutete.


Quelle / Titel


  • © 1+2: Evangelische Arbeistgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte München, A 30.1

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