Wolfgang Niederstraßer: Gegen NS-Kirchenpolitik


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Wolfgang Niederstraßer (1907–1981) war der einzige bayerische Pfarrer, der wegen seines Widerstandes gegen den Nationalsozialismus im Konzentrationslager Dachau inhaftiert wurde. Nach seinem Wechsel von der hannoverschen in die bayerische Landeskirche vertrat Niederstraßer 1937 zunächst die Pfarrstelle in Thundorf. Zum 15jährigen Jubiläum des Hitler-Ludendorff-Putsches am 9. November 1938 weigerte er sich, das Pfarrhaus und die Kirche zu beflaggen. Obwohl er wegen dieses demonstrativen Aktes vom Amtsgericht nur zu einer milden Geldstrafe von 20 Reichsmark verurteilt wurde, markierte dieser Konflikt mit den NS-Machthabern den Beginn einer Verfolgung, die ihn schließlich fast das Leben gekostet hätte.


Seine erste Pfarrstelle erhielt Niederstraßer im Juli 1940 im oberfränkischen Warmensteinach. Dort geriet er schon nach wenigen Monaten in Auseinandersetzungen mit der NSDAP-Ortsgruppe, die sich an den die NSDAP-Weihnachtsfeier störenden Proben für das Krippenspiel entzündeten. Übel genommen wurden ihm auch seine engagierten Predigten, die wiederholt Anspielungen auf die kirchenfeindliche Politik des NS-Staates enthielten. Auch außerhalb der Kirche wurde seine Distanz zum NS-Regime unübersehbar, weil Niederstraßer und seine Frau den „Deutschen Gruß“ („Heil Hitler“) nicht mehr verwendeten. Nach zahlreichen Denunziationen wurde ihm eine Predigt in einem Trauergottesdienst für Gefallene am 28. Juni 1942 zum Verhängnis.


In dieser Predigt protestierte Niederstraßer scharf gegen die „13 Punkte“ von Reichsstatthalter Arthur Greiser (1897–1946), mit denen die Kirchen im Warthegau in eine vom Staat total kontrollierte Randexistenz abgedrängt werden sollten und von denen zu erwarten war, dass sie Vorbildcharakter für das gesamte Deutsche Reich hätten. Niederstraßer bezeichnete diese 13 Punkte in seiner Predigt als 13 Todesurteile gegen die christliche Kirche, wandte sich gegen die Zurückdrängung der Kirche aus dem öffentlichen Leben und protestierte gegen die Ersetzung christlicher Riten wie Taufe und Konfirmation durch nationalsozialistische Feiern. Besonderen Unmut rief sein Ausruf hervor: Weil der Gottlose Übermut treibt, muss der Elende leiden!“ (Zitate nach B. Mensing, Zeugnis, 768)


Der Regierungspräsident von Mittel- und Oberfranken widerrief daraufhin Niederstraßers Zulassung zum Religionsunterricht, womit er in der Gemeinde erheblichen Widerspruch provozierte. Vor allem aber erhoben die Bayreuther Justizbehörden Anklage wegen fortgesetzten Vergehens gegen das Heimtückegesetz und den Kanzelparagraphen. Damit drohten Niederstraßer ein bis zwei Jahre Gefängnis. Das Verfahren war noch nicht abgeschlossen, als er im Februar 1943 zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Sein zuständiger Kreisdekan rügte in einem Schreiben vom 20. März 1943 sein Einzelgängertum und belehrte ihn, er werde beim Militär jetzt ja lernen, dass in der Batterie und im größeren Rahmen keiner seinen privaten Krieg führen kann. Lassen Sie sich das zum Exempel dienen (zitiert nach B. Mensing, Zeugnis, 773).


Im Dezember 1943 sandte das Sondergericht Bayreuth die Verfahrensakten an Niederstraßers Einheit zur Weiterleitung an das zuständige Kriegsgericht. Obwohl die Einheit das Verfahren niederschlagen wollte, wurde er im Dezember 1944 überraschend verhaftet, aus der Wehrmacht ausgestoßen und der Gestapo übergeben. Nachdem Kreisdekan Bezzel den Landeskirchenrat auf den Ernst der Lage hingewiesen hatte, stellte dieser vergeblich Antrag auf Haftentlassung. Im April 1945 wurde Niederstraßer in das grauenvoll überfüllte Konzentrationslager Dachau überstellt. Bei den Todesmärschen zur Räumung des Lagers wurde er in Richtung Alpen getrieben, kam jedoch Anfang Mai bei Wolfratshausen frei.


Quelle / Titel


  • © 1+2: Privatbesitz Hans Niederstraßer, Lindau

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