Hermann Strathmann: Rechtskonservativer NS-Gegner


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Hermann Strathmann (1882–1966) lehrte seit 1918 das Fach Neues Testament in Erlangen. Die Erlanger Universität war bei der Ausbildung des bayerischen Theologennachwuchses führend. Während der Weimarer Republik herrschte dort ein national-antidemokratisches Klima. Auch vom Lehrkörper der Theologischen Fakultät wurde die Republik nicht unterstützt. Von den evangelischen Theologiestudenten begeisterte sich ab Ende der 1920er Jahre eine große Mehrheit für den Nationalsozialismus. Im Wintersemester 1930/31 gehörte mehr als ein Drittel dem NS-Studentenbund an.


Strathmann engagierte sich stark parteipolitisch und als aktiver Politiker. 1918 gehörte er zu den Mitbegründern der rechtskonservativen Bayerischen Mittelpartei, seit 1920 war er in der Deutschnationalen Volkspartei tätig. 1919 wurde er Mitglied des bayerischen Landtags, ab 1920 Mitglied des Reichstags für den Wahlkreis Franken. 1930 wechselte er zum Christlich-Sozialen Volksdienst und übernahm dort eine führende Rolle. Für den Volksdienst hatte er von 1931 bis März 1933 erneut Reichstagsmandate inne. Er hielt den Parlamentarismus für unfähig, die politischen Probleme zu lösen, und hoffte auf eine starke Führerpersönlichkeit. Den Nationalsozialismus lehnte er jedoch ab, da er die NS-Rassenideologie für mit dem Christentum unvereinbar hielt.


Nach den Zugewinnen der NSDAP bei den Reichstagswahlen 1930 setzte sich Strathmann in seiner Schrift Nationalsozialistische Weltanschauung? intensiv mit der NS-Ideologie auseinander. Dabei ging er von der Frage aus, wie sich die NSDAP in ihrem Parteiprogramm zum „positiven Christentum“ bekennen könne, wenn sie zugleich den Anspruch erhebe, eine neue Weltanschauung zu sein. Strathmann stellte dazu fest, im Zentrum der NS-Weltanschauung stehe als höchster Wert der Rassegedanke. Dieser aber könne vom christlichen Standpunkt aus nicht anders als „Kreaturvergötterung“ bezeichnet werden (H. Strathmann, Weltanschauung, 10) und müsse entschieden zurückgewiesen werden (26).


Obwohl Strathmann den Abwehrkampf gegen die zersetzenden Wirkungen und … schweren Schäden ..., die ein ... wurzellos gewordenes Judentum für unser Volk bedeutet, und die Reinhaltung unseres Volkstums grundsätzlich bejahte, verurteilte er den hemmungslosen, fanatischen Antisemitismus der Nationalsozialisten. Dieser sei eine Auswirkung jenes das eigene Volkstum zum Wert aller Werte erhebenden Rassekultus ..., die sich mit dem Geiste des „positiven Christentums“ schlechterdings nicht vereinigen läßt (24f.). Nicht weniger mit dem christlichen Standpunkt vereinbar sei der Gedanke, schwächliche Kinder, die ins Leben getreten sind, zu beseitigen ... Hier gilt ganz einfach der Satz: „Du sollst nicht töten“ (22).


Strathmanns Analyse von Schriften und Äußerungen führender Nationalsozialisten mündete in das Fazit, daß in all diesen … Äußerungen das „positive Christentum“ des nationalsozialistischen Programms durch den aus dem Rassegedanken stammenden völkischen Vorbehalt völlig entwertet und entleert worden ist (37). Wegen seiner öffentlichen Ablehnung der NS-Rassenideologie und seines parteipolitischen Engagements während der Weimarer Republik versuchten der fränkische Gauleiter Julius Streicher (1885–1946) und Erlanger SA-Studenten nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933, Strathmann wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ aus seinem Amt zu entfernen. Er konnte seine Entlassung jedoch verhindern.


Quelle / Titel


  • © Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte München, KK B 865:9

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