Mesnerin Pauline Essig


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Otto Mörike organisierte nicht nur zeitweise neue Quartiere für das jüdische Ehepaar Krakauer, sondern seine Frau und er waren auch bereit, die beiden bei sich aufzunehmen, wenn es anderswo keine Bleibe mehr gab. Es scheint, im Flachter Pfarrhaus war – auch bei größter Enge – immer noch irgendwie ein Platz frei oder es konnte eine Unterkunft in der Nähe gefunden werden wie beispielsweise bei der Mesnerin Pauline Essig. Max Krakauer berichtete:


Das Weihnachtsfest rückte heran, für uns ein Anlass, düster in die Zukunft zu blicken, denn es schien aussichtslos zu sein, uns über die Festtage irgendwo unterzubringen. Es gab ohnehin kein Pfarrhaus mehr, das nicht bereits Bombengeschädigte aufgenommen hatte, und nun kamen bei dem einen noch die Kinder nach Hause, die in den Städten die Höhere Schule besuchten, bei den anderen hatten sich Verwandte angemeldet, die sich über die Festtage in den Dörfern etwas erholen wollten. …


Im letzten Moment sprang das Flachter Pfarrhaus ein. Mit der Straßenbahn schlängelten wir uns durch bis Weilimdorf, gingen zu Fuß nach Korntal und benützten von dort die Strohgäubahn bis Weissach. Denn man hatte uns gesagt, dass dieses Bähnle bisher noch niemals kontrolliert worden sei. Wir kamen auch glücklich in Weissach an und wanderten hinüber nach Flacht – schweren Herzens, denn wir wussten, dass man uns jetzt nur dorthin kommen ließ, weil es beim besten Willen keine andere Möglichkeit gegeben hatte. So fürchteten wir, als lästig betrachtet zu werden, und waren umso angenehmer überrascht über die Herzlichkeit, mit der wir empfangen wurden.


Meine Frau durfte im Pfarrhaus wohnen, während ich bei der Mesnerin untergebracht wurde. Im Pfarrhause waren außer fünf Kindern, einer Haustochter und der Mutter der Hausfrau noch deren Bruder sowie der verwundete Pflegesohn zu Gast. Aber wir Fremde – und Andersgläubige – wurden fast noch liebevoller behandelt als die eigenen Angehörigen. An allen Vorbereitungen zum Weihnachtsfest durften wir teilnehmen, für uns in vieler Beziehung etwas ganz Neues, und immer fester wurde das Band, das uns mit dem Ehepaar Mörike verknüpfte (Krakauer, Lichter, 99, 100f.).


Quelle / Titel


  • © Adolf Leger; Abdruck: Krakauer, Lichter, 100 © Calwer Verlag, Stuttgart

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