Zeugnisse zivilen Mutes – Solidarität mit verfolgten Juden


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Ein gefälschter Ausweis auf den Namen Dr. Hans Günther ermöglichte dem aus Berlin stammenden Arzt Dr. Hermann Pineas das Überleben im Untergrund. Pineas, ab 1939 Leiter der Nervenabteilung des jüdischen Krankenhauses, und seine Frau Herta tauchten am 6. März 1943 unter. Herr Pineas floh nach Wien, seine Frau fand in Berlin in wechselnden Quartieren Unterschlupf.


Beide kamen schließlich nach Württemberg, wo sie, von Mitgliedern der „Pfarrhauskette“ – auch Bruderring genannt – betreut, bei verschiedenen Familien unterkamen. Insbesondere die Schwenninger Vikarin Margarete Hoffer kümmerte sich um das Ehepaar Pineas.


Auch die Pfarrleute Hildegard und Theodor Dipper, Hilde und Richard Gölz, Otto und Gertrud Mörike, Elisabeth und Kurt Müller, Eugen und Johanna Stöffler sowie die Pfarrfrauen Elisabeth Goes, Maria Kleinknecht und Hildegard Spieth setzten sich für die Rettung von mindestens 17 Personen ein; sie sorgten für Unterschlupf und organisierten weitere Verstecke.


Vergleichbare Netze der Nothilfe für untergetauchte Juden gab es auch in Pommern, wo es Pfarrer Karl-Heinrich Reimer gelang, immer neue Verstecke und Quartiermöglichkeiten ausfindig zu machen.


In Berlin entstand im Umfeld der Gemeinde Dahlem, die der Bekennenden Kirche angehörte, ein Kreis von Helferinnen und Helfern für Untergetauchte, die oft selbst als „Mischlinge“ oder „privilegierte Juden“ von der Verfolgung betroffen waren. Ihm gehörten Dr. Franz Kaufmann, Helene Jacobs, Edith Wolff und Ernst Hallermann an.


Nach der Enttarnung des Kreises im August 1943 wurde Kaufmann im Februar 1944 im Konzentrationslager Sachsenhausen erschossen; andere Mitglieder wurden zu teilweise mehrjährigen Zuchthausstrafen verurteilt.


Anlaufstellen für Untergetauchte waren in Berlin auch die Pfarrer Wilhelm Jannasch und Harald Poelchau, beide Mitglieder der Bekennenden Kirche. Jannasch half beispielsweise dem jüdischen Ehepaar Krakauer oder der Jüdin Beate Steckhan beim Untertauchen. Poelchau war Gefängnispfarrer im Tegeler Gefängnis und vermittelte der Jüdin Annemarie Hirsch eine erste Wohnmöglichkeit nach ihrem Untertauchen. Hirsch pendelte zwischen Berlin, Niedersachsen und Hessen, wo sie in Pfarrhäusern und anderen Quartieren Unterschlupf fand; in Dahlem erlebte sie dann die Befreiung durch sowjetische Truppen.


Poelchau half auch Erika Charlotte Paech, die zu einer Widerstandsgruppe jüdischer Kommunisten in Berlin gehörte. Er vermittelte ihr eine Unterkunft bei Dorothea Schneider. Dorothea und ihre Tochter Christa Maria Schneider, Mitglieder der Bekennenden Kirche in Potsdam, haben mehreren Verfolgten so das Leben gerettet. Poelchau wurde 1972 in Israel als „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet und erhielt die Yad-Vashem-Medaille.


Solidarität mit den Verfolgten zeigten auch die Essener Pfarrer Heinrich Held und Johannes Böttcher. Held und seine Frau Hildegard verbargen im Keller des Pfarrhauses zunächst den ehemaligen Landgerichtsrat Hans Werner Perls, der vor der drohenden Deportation untergetaucht war, dann boten sie dem aus einem Arbeitslager entkommenen Städteplaner Dr. Philipp Rappaport Unterschlupf.


Böttcher versteckte eine Gruppe von Jüdinnen und Juden unter den Trümmern der zerbombten Rüttenscheider Reformationskirche. Verschwiegene Helferinnen und Helfer aus der Gemeinde standen ihm bei der Betreuung und Beschaffung der benötigten Lebensmittel bei. Held sowie Herr und Frau Böttcher wurden am 16. September 2003 posthum mit dem Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ geehrt.


Eine diakonische Einrichtung bot Sicherheit für etwa zwölf jüdische bzw. „halbjüdische“ Kinder. Im Godesheim, einer 1888 gegründeten Einrichtung der Inneren Mission, gelang es dem Direktor Ernst Horn, dass diese Kinder, die oft selbst nicht um ihre Abstammung wussten, in den Heimklassen, ja sogar in den eigenen HJ-Gruppen, unterschlüpften. Die Kinder blieben unentdeckt und überlebten.


Quelle / Titel


  • © Leo Baeck Institute, ME 502

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