Sondergerichte und Volksgerichtshof


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Das Regime misstraute zunehmend der eigenen Bevölkerung. Die alte Furcht vor einem Bruch der „inneren Front“, das Dolchstoßtrauma von 1918, brach nach Kriegsbeginn und erst recht, als sich das Kriegsglück wendete, wieder hervor. Härte gegen den Volksfeind sei Fürsorge für das Volk!, so Roland Freisler, der gefürchtete Richter am „Volksgerichtshof“.


Sondergerichtsbarkeit und Strafgesetzgebung wurden laufend verschärft. Das Reichsjustizministerium erklärte Richter und Staatsanwälte zu Soldaten der inneren Front und die bei allen Oberlandesgerichten gebildeten Sondergerichte zu Panzertruppen der Rechtspflege.


Die Zahl der Strafbestimmungen mit Todesandrohungen wurde ständig erhöht. Die Todesstrafe, die vor 1933 „lediglich“ für drei Tatbestände vorgesehen war, wurde 1943/44 in 46 Tatbeständen gefällt. Im „Altreich“ schnellte die Zahl der Todesurteile im Laufe des Krieges in die Höhe. Waren es 1939 noch 178 gewesen, so lagen die Zahlen 1943 bei 1.592. Insgesamt wurden über 16.000 Todesurteile von der Strafjustiz verhängt, die meisten davon von den Sondergerichten und vom „Volksgerichtshof“.


Außerordentlich harte Strafen waren für Plünderungen und auch für das Abhören ausländischer Sender vorgesehen. Als universelles Mittel diente der § 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung gegen Wehrkraftzersetzung, der die Todesstrafe für den Fall androhte, dass jemand öffentlich den Willen des deutschen oder verbündeten Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen oder zu zersetzen sucht. Zunehmend wurden kleinste Eigentumsdelikte ebenso drakonisch streng wie eine „defätistische Äußerung“ verfolgt.


Neben die Überzeugung vieler Richter und Staatsanwälte, dass „Volksschädlinge“ und „hoffnungslos Asoziale“ in der Volksgemeinschaft ohnehin kein Lebensrecht hätten und „ausgemerzt“ werden müssten, trat angesichts der militärischen Katastrophe die Furcht vor der Auflösung von Ruhe, Disziplin und Ordnung.


Dies zeigt sehr eindrücklich ein SD-Bericht vom 29. November 1943:


Die Strafzumessung hat sich nach den hier erfaßten Urteilen laufend verschärft. Dies ergibt sich aus der Zusammenstellung folgender älterer Urteile:


Oktober 1940: Nicht vorbestrafter Mann stiehlt eine Sofadecke von geringem Wert aus den Trümmern: 5 Jahre Zuchthaus (Sondergericht Köln).


Januar 1941: 17jähriger Kraftfahrer, der Schutt abfährt, eignete sich aus den Trümmern einige Kleinigkeiten an: 6 Monate Gefängnis (Jugendgericht Köln).


August 1941: SHD-Angehörige stehlen Lebensmittel und Getränke und verzehren sie an Ort und Stelle: 4–12 Jahre Zuchthaus (Sondergericht Bielefeld). …


August 1942: 39jähriger Mann stiehlt aus dem Hause, in dem er zum Helfen eingesetzt ist, 1 Leinendecke: Todesstrafe (Sondergericht Kassel).


August 1942: Diebstahl einer Armbanduhr, eines Weckers und einer Geldsumme aus beschädigtem Hause: Todesstrafe (Sondergericht Danzig).


August 1942: Ein Helfer des Roten Kreuzes als Sanitäter stiehlt aus den ihm anvertrauten Sachen eines Schwerverletzten 78,- RM: 5 Jahre Zuchthaus (Sondergericht Frankfurt/Main), (zit. nach: Boberach, Meldungen aus dem Reich 15, 6077).


Obgleich die Gerichte ihre Urteile in aller Regel mit dem „gesunden Volksempfinden“ begründeten, regte sich in der Bevölkerung wachsender Widerstand über die unverhältnismäßig hohen Strafen bei geringsten Vergehen, sodass häufig – wie es in einem Bericht des Kölner Oberlandesgerichtspräsidenten vom November 1943 hieß – Plünderungen aus Rücksicht auf die Täter oder doch zumindest auf dessen Angehörige nicht mehr angezeigt wurden.


Quelle / Titel


  • Mattes, gemeinfrei