Predigten gegen das Novemberpogrom


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Als in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 jüdische Menschen misshandelt, in Konzentrationslager verschleppt und ermordet wurden, als ihr Eigentum zerstört und ihre Gotteshäuser angezündet wurden, schwiegen die evangelischen Kirchenleitungen.


Auch die Bekennende Kirche konnte sich nicht zu einem Protest durchringen. Auf ihrem Kirchentag vom 10. bis 12. Dezember 1938 bekannte sie sich lediglich zur Gleichheit aller Menschen vor Gott und appellierte an die Gemeinden, sich der leiblichen und seelischen Not ihrer christlichen Brüder und Schwestern aus den Juden anzunehmen.


Der württembergische Landesbischof Theophil Wurm protestierte zwar schriftlich beim Reichsjustizminister gegen die Art und Weise des Vorgehens gegen die Juden, offen aber erhob nur eine verschwindend kleine Minderheit von Pfarrern und Laien ihre Stimme gegen die Verbrechen des Novemberpogroms.


So trat der Barmener Pfarrer Karl Immer am Sonntag nach dem Pogrom ohne Talar vor die Gemeinde und erklärte, nicht predigen zu können, nachdem nur wenig entfernt das Wort Gottes verbrannt worden sei. Stattdessen verlas er das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter. In Nürnberg versammelten sich die Pfarrer in der St. Lorenz-Kirche, um als Zeichen des Protestes die Zehn Gebote laut zu sprechen.


Der Heidelberger Stadtpfarrer Hermann Maas bekundete einzelnen Opfern gegenüber seine Solidarität und erklärte, ihnen nicht obwohl, sondern weil sie Juden seien, helfen zu wollen. Innerhalb des neu konstituierten Freiburger Kreises warf – so der Historiker Gerhard Ritter – die Empörung über die Synagogenverbrennung die Frage nach der Pflicht der Kirche zu öffentlicher Stellungnahme auf.


Aus den wenigen kirchlichen Protesten ragten besonders die Bußtagspredigten der Pfarrer Helmut Gollwitzer und Julius von Jan vom 16. November 1938 heraus.


Gollwitzer, Mitglied des altpreußischen Bruderrats und Pfarrer an der Berlin-Dahlemer Gemeinde des in Konzentrationslagerhaft befindlichen Martin Niemöller, prangerte in seiner Predigt an, dass sich biedere Menschen in grausame Bestien verwandelt hätten und dass Christen wie Nichtchristen von niederen Instinkten wie Hass und Rache getrieben, durch Bequemlichkeit und Wegschauen so schuldig geworden seien, dass Gott sich vor ihnen ekele. Gollwitzers flammende Predigt mündete in den Aufruf, sich der Verfolgten bedingungslos anzunehmen: Draußen warte unser Nächster, notleidend, schutzlos, ehrlos, hungernd, gejagt und umgetrieben von der Angst um seine nackte Existenz.


Der Oberlenninger Bekenntnispfarrer Julius von Jan nannte die Verbrechen in seiner Predigt offen beim Namen: Die Leidenschaften sind entfesselt, die Gebote Gottes missachtet, Gotteshäuser, die anderen heilig waren, sind ungestraft niedergebrannt worden, das Eigentum der Fremden geraubt oder zerstört, Männer, die unserem deutschen Volk treu gedient haben und ihre Pflicht gewissenhaft erfüllt haben, wurden ins KZ geworfen, bloß weil sie einer andern Rasse angehörten! […] wir als Christen sehen, wie dieses Unrecht unser Volk vor Gott belastet und seine Strafen über Deutschland herbeiziehen muss.


Wenige Tage später wurde Julius von Jan in einer aufsehenerregenden Aktion von NS-Parteigenossen brutal zusammengeschlagen, in Gestapohaft verschleppt und aus Württemberg ausgewiesen; 1939 wurde er in einem entwürdigenden Verfahren zu 16 Monaten Gefängnis verurteilt. In seine Oberlenninger Gemeinde konnte er erst 1945 wieder zurückkehren.


Quelle / Titel


  • ©Foto: U. U. Graf, Oberlenningen; Audio gesprochen nach: Theodor Dipper: Die Ev. Bekenntnisgemeinschaft in Württemberg 1933-1945 (AGK. 17), Göttingen 1966, S. 263ff.

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