Denkschrift der Vorläufigen Kirchenleitung


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Seit 1935 versuchte das nationalsozialistische Regime, die Kirchen aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen. Ziel war es, den Kirchen jeden Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen und ihre Organisationen aufzulösen. Von Presse und Rundfunk wurden sie ausgeschlossen. Kircheneigene Publikationsorgane unterlagen massiven Beschränkungen. Die Erziehung von Kindern und Jugendlichen wurde den Kirchen entzogen. Hohe Partei- und Staatsfunktionäre äußerten sich in ihren Propagandareden in abfälligster Weise über Christentum und Kirche. Zugleich wurde die evangelische Kirche durch eine Reihe neuer Gesetze einer immer schärfer werdenden Staatsaufsicht unterstellt.


Gegen diese Entwicklung protestierte die evangelische Kirche mehrfach. Ein Dokument aber ragt aus allen Protesten heraus: Die „Denkschrift der Vorläufigen Kirchenleitung an Hitler“ von Ende Mai 1936.


In dieser Denkschrift wagten es die verantwortlichen Leiter der radikalen Bekennenden Kirche, über den kirchlichen Bereich hinaus auch Kritik an der gesellschaftlichen Entwicklung im nationalsozialistischen Staat zu üben. Es gibt keinen anderen Protest aus der Leitungsebene der evangelischen Kirche, in dem so deutlich gegen Antisemitismus, die Existenz von Konzentrationslagern und die Willkür der Gestapo Stellung bezogen wurde.


Den Führungskräften der Bekennenden Kirche fiel es allerdings nicht leicht, den NS-Staat zu kritisieren. Die meisten hatten sich von der nationalen Begeisterung mitreißen lassen und stimmten partiell mit den Zielen des Nationalsozialismus überein. Zudem war erst im Jahr zuvor nach einem ähnlichen Protest eine Verhaftungswelle über die Bekennende Kirche hereingebrochen.


Deshalb durchlief die Denkschrift einen schwierigen Entstehungsprozess, in dessen Verlauf die politischen Aussagen mehr und mehr abgeschwächt wurden. Mehrmals war es fraglich, ob die Denkschrift überhaupt zustande kommen würde. Aus tiefer christlicher Verantwortung heraus rang sich die Bekennende Kirche letztlich aber doch dazu durch, die Denkschrift an Hitler weiterzuleiten.


Hitler allerdings war nicht bereit, sich von der Bekennenden Kirche belehren oder zu einer Kurskorrektur bewegen zu lassen. Sie erhielt nicht einmal eine Antwort. Deshalb plante sie, die ursprünglich streng vertraulich nur an Hitler gerichtete Denkschrift den Kirchengemeinden in einer Kanzelabkündigung bekannt zu machen.


In diese Situation platzte die Veröffentlichung der Denkschrift in der „New York Herald Tribune“ und in mehreren europäischen Zeitungen. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, die die Bekennende Kirche getroffen hatte, war durch eine Indiskretion aus den eigenen Reihen ein Exemplar der Denkschrift ins Ausland gelangt. Die Veröffentlichung in den ausländischen Zeitungen hatte verheerende Folgen: Die Gestapo führte mehrere Verhaftungen durch und verschleppte die Betroffenen in das Konzentrationslager Sachsenhausen.


Am härtesten traf es den Juristen und Mitarbeiter der Vorläufigen Kirchenleitung Friedrich Weißler. Weißler wurde im Februar 1937 in Sachsenhausen brutal ermordet. Die radikale Bekennende Kirche stand nach der Denkschrift endgültig als Staatsfeind da. Auch innerhalb der evangelischen Kirche war sie isoliert. Selbst der gemäßigte Teil der Bekennenden Kirche rückte von der Vorläufigen Kirchenleitung ab.


Umso beachtlicher ist es, dass die radikale Bekennende Kirche den Mut fand, an dem Plan einer Kanzelabkündigung festzuhalten. Diese Kanzelabkündigung wurde im Sommer 1936 trotz staatlichen Verbots in vielen Gottesdiensten verlesen.


Allerdings wagte es die Bekennende Kirche nach den Erfahrungen mit der Denkschrift nicht mehr, über die Kritik an den Einschränkungen des christlichen Glaubens hinaus auch die gesellschaftliche Gesamtsituation im Nationalsozialismus anzusprechen. Bei dieser Beschränkung auf den kirchlichen Bereich ist es bis zum Zusammenbruch des Nationalsozialismus dann bei späteren Protesten kirchlicher Leitungsgremien auch fast ausnahmslos geblieben.


Quelle / Titel


  • ©Landeskirchliches Archiv Bielefeld, 5, 1/89

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