Stille Hilfe eines „verfressenen Pfarrers“


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Wie alle Mitglieder der Pfarrhauskette, die untergetauchte jüdische Flüchtlinge beherbergten, stand auch Theodor Dipper vor der Herausforderung, diese zusammen mit der eigenen Familie zu ernähren. Naturgemäß durfte hierbei kein Verdacht erregt werden, was unter den herrschenden Kriegsbedingungen außerordentlich schwierig war. Als Geistlicher, der seine Gemeindemitglieder auch zu Hause aufsuchte, eröffneten sich Dipper Möglichkeiten der unauffälligen Nahrungsbeschaffung, die allerdings zu einer Fehleinschätzung seiner Person führen konnte.


Eine Zeitzeugenbefragung, die Joachim Scherrieble durchführte, erbrachte interessante Einblicke in die Einschätzung der Gemeindeglieder von ihrem Pfarrer. Eine Person erzählte:


Der Pfarrer Dipper war der verfressenste Pfarrer Reichenbachs, den es je gegeben hat. [...] Er hat immer, wenn er auf Besuch kam und man ihm was angeboten hat, gesagt: „Danke nein, aber ich nehm’ gern was mit“. Da hat man ihm jedesmal ein Brot und ein paar Eier in seine Tasche getan.


Eine andere Person gab zu Protokoll:


Aber das Dorf sah den Pfarrer immer mit vollen Taschen den Berg hinaufschnaufen. Er galt als der größte Fresser im Dorf. Bei Fliegerangriffen ließ er die dem Pfarrhaus zugeteilten Nachbarn nicht herein. Sie hätten hier nichts zu suchen, sagte er kalt. So häufte er Schande über Schande auf sein Haupt.


Weiter wurde berichtet:


Frau Dipper hatte immer viele Brot- und Fleischmarken. Nachts haben die Frauen vom Schurwald ihm Säckchen mit Essen und sonstigem und Milchkännchen gebracht. Erst nach dem Krieg haben wir erfahren, daß Juden dort versteckt waren und daß das der Grund für all die Merkwürdigkeiten war, die wir uns natürlich nicht erklären konnten. [...] Vor allem Leute, die der Kirche nicht so nahe standen, haben dies natürlich aufgespießt, vor allem im Waschhaus und im Backhaus.


Und selbst den Parteimitgliedern fiel das Verhalten des Pfarrers auf:


Auch die Parteigenossen haben sich beklagt, daß dem Pfarrer immer die Brotzipfel aus der Tasche herausgeschaut haben, wo doch die deutschen Soldaten nichts zu essen hätten. (Zitate nach: J. Scherrieble, Reichenbach, 301)


Quelle / Titel


  • © Foto: Magdalena Hermle, Ebersbach/F.

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