Das Oktoberprogramm des Reichskirchenministers


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Im Herbst 1938 entwarf Reichskirchenminister Hanns Kerrl erneut ein kirchenpolitisches Programm, um die ständige politische Unruhe und Streitigkeiten in der evangelischen Kirche zu beenden. Mit seinem „Oktoberprogramm“ wollte er vor Hitler und den kirchenfeindlichen Kräften in Staat und Partei die Existenzberechtigung der evangelischen Kirche im NS-Staat unter Beweis stellen.


Kerrls Programm sah die Trennung von weltlich-juristischer Kirchenverwaltung und geistlich-religiösen Angelegenheiten vor. Die Verwaltung sollte zentralisiert und unter Staatsaufsicht gestellt werden, während die geistlichen Angelegenheiten einer aus allen kirchenpolitischen Gruppen bestehenden Synode überlassen bleiben sollten.


Kerrl hoffte, sein Programm auf Basis einer breiten kirchlichen Mitte unter großer Beteiligung kirchlicher Laien durchsetzen zu können. Dabei stand er unter dem Einfluss namhafter Vertreter einer „völkischen“ Theologie der Mitte, die zwar an Evangelium und Bekenntnisschriften festhalten wollten, zugleich aber eine Synthese von Christentum und Nationalsozialismus für das Gebot der Stunde hielten.


In völliger Verkennung der tatsächlichen kirchenpolitischen Absichten des NS-Staates verkündeten diese Kreise im Rundbrief Nr. 3 der „Volkskirchlichen Arbeitsgemeinschaft“ vom 14. Dezember 1938: Was das Volk Gottes als ‚Kirche‘ an irdischen Ordnungen braucht, dessen soll der Staat walten. Was aber ‚geistlich‘ ist, das geht die weltliche Macht nichts an.


Die Überzeugung der Exponenten der kirchlichen Mitte war illusorisch, im Zusammenwirken mit dem seit 1937 politisch kaltgestellten Reichskirchenminister eine Neuordnung der Kirche herbeiführen zu können. Hitler hatte längst das Interesse an der evangelischen Kirche verloren und Entscheidungen in der Kirchenfrage auf Eis gelegt.


Die innerparteilichen Gegner Kerrls planten eine radikale Trennung von Staat und Kirche. Kerrls Vorhaben betrachteten sie als unerwünschte Stärkung der Kirche. Das berüchtigte „Reichssicherheitshauptamt“, das 1939 von Heinrich Himmler neu geschaffen worden war und Gestapo, Sicherheitsdienst sowie die Polizei zusammenlegte, kritisierte, das Oktoberprogramm laufe auf die Schaffung einer Staatskirche hinaus. Himmler persönlich schaltete sich ein und torpedierte Kerrls Programm.


Dem Reichskirchenminister gelang es auch nicht, die erhoffte Mehrheit von Geistlichen und Laien aus der kirchlichen Mitte für sein Vorhaben zu gewinnen. Nicht nur die Bekennende Kirche, sondern auch die nicht deutschchristlichen Kirchenleiter lehnten Kerrls Programm ab, weil sie die Trennung von weltlichen und geistlichen Angelegenheiten als bekenntniswidrig betrachteten und eine Wiederholung der 1934 von Reichsbischof Müller betriebenen Zwangseingliederungspolitik in die Reichskirche befürchteten.


Als die von Kerrl beauftragten Vertreter der Mitte im Januar 1939 ihr umfangreiches „Gesamtgutachten" zur "Ordnung und Befriedung der Deutschen Evangelischen Kirche“ vorlegten, war das Oktoberprogramm politisch und kirchlich bereits gescheitert.


Quelle / Titel


  • ©Evangelisches Zentralarchiv in Berlin, 1/1270, Bl. 196

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