Kirchenleitung: „Gemäßigte“ Bekennende Kirche


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Die bayerische Landeskirche hatte im Kirchenkampf der Jahre 1933/34 die Machtansprüche der Deutschen Christen abgewehrt und damit ihr Bekenntnis, ihre Verfassung und ihr rechtmäßiges Kirchenregiment erhalten können. Im damaligen Sprachgebrauch galt sie deshalb als „intakt“. Außerdem hatte sie sich auf die Seite der Bekennenden Kirche gestellt, sich an ihren Leitungsgremien beteiligt und an den Bekenntnissynoden teilgenommen. Die Landeskirche blieb auch in den Jahren 1935 bis 1939 „intakt“. Der Kampf von Kirchenleitung, Pfarrern und Gemeinden galt jetzt jedoch nicht mehr in erster Linie den Deutschen Christen, sondern der immer offener kirchen- und christentumsfeindlichen Politik des NS-Staates.


So protestierte die Kirchenleitung unter Landesbischof Hans Meiser (1881–1956) in zahlreichen Eingaben und Verlautbarungen gegen die Abschaffung der Bekenntnisschulen, die Einschränkungen der kirchlichen Jugendarbeit, die Zurückdrängung der Kirche aus den Medien, die Verunglimpfung des Alten Testaments und die generelle Diffamierung des Christentums durch die NS-Propaganda. Sie verweigerte die Ausführung kirchenfeindlicher staatlicher Anordnungen und zeigte sich durch Hilfsaktionen für verfolgte Kirchen mit anderen Mitgliedern der Bekennenden Kirche solidarisch. Im Herbst 1935 wehrte Landesbischof Meiser Versuche des Reichskirchenministeriums ab, die Landeskirche durch die Einsetzung eines Kirchenausschusses unter Kontrolle zu bringen.


Ebenso wie die Leitungen der anderen „intakten“ Landeskirchen war die bayerische Kirchenleitung jedoch bereit, die staatliche Einsetzung von Kirchenausschüssen in der Reichskirche und in den „zerstörten“ Landeskirchen zu akzeptieren. Damit trug sie zur Spaltung der Bekennenden Kirche bei, denn die Bruderräte in den „zerstörten“ Landeskirchen lehnten die Kirchenausschüsse kategorisch ab. Im Februar 1936 spaltete sich die Bekennende Kirche deshalb auch organisatorisch: In Konkurrenz zu der von den Bruderräten neu gewählten (Zweiten) Vorläufigen Kirchenleitung gaben sich die lutherischen Bischöfe der „intakten“ Landeskirchen unter Federführung Bayerns mit dem sogenannten Lutherrat eine eigene Leitung. Dies schwächte die Bekennende Kirche nachhaltig.


Der Lutherrat verstand sich zwar als Teil der Bekennenden Kirche, lehnte aus Furcht vor einer Union mit Reformierten und Unierten eine Kirchengemeinschaft mit den Bruderräten aber ab und plante die Gründung einer Lutherischen Kirche Deutschlands. Der NS-Kirchenpolitik gegenüber zeigte er sich kompromissbereiter als die Bruderräte und galt deshalb als „gemäßigt“. Den Vorsitz übernahm der bayerische Oberkirchenrat Thomas Breit (1880–1966). Er hatte schon vor 1933 die Unvereinbarkeit von Christentum und NS-Ideologie festgestellt und bis zu ihrer Spaltung der gemeinsamen Leitung der Bekennenden Kirche angehört. Als Vorsitzender des Lutherrats trug er dazu bei, dass es trotz der Spaltung noch zu einzelnen Aktionsbündnissen mit der Vorläufigen Kirchenleitung kam.


Die gegen kirchenpolitische Maßnahmen von Staat und Partei gerichteten Proteste des Lutherrats fielen deutlich schwächer aus als diejenigen der Bruderräte. Als die Vorläufige Kirchenleitung 1936 in ihrer berühmten Denkschrift an Hitler über die NS-Kirchenpolitik hinaus auch die Gestapo, die Konzentrationslager und den Antisemitismus kritisierte, kam es zu einem schweren Zerwürfnis mit dem Lutherrat. Noch tiefer wurde der Graben zwischen dem „gemäßigten“ und dem „radikalen“ Flügel der Bekennenden Kirche im Herbst 1938, als sich Meiser und andere „gemäßigte“ Kirchenführer wegen der „Gebetsliturgie anlässlich drohender Kriegsgefahr“ auf politischen Druck hin öffentlich von der Vorläufigen Kirchenleitung distanzierten.


Trotz ihres „gemäßigten“ Kurses galten die bayerische Kirchenleitung und vor allem Landesbischof Hans Meiser für das NS-Regime ebenso als Staatsfeinde wie die „radikalen“ Bruderräte in den „zerstörten“ Landeskirchen. Daran konnte auch nichts ändern, dass die bayerische Kirchenleitung auf öffentlichen Protest gegen politische Maßnahmen des NS-Staates verzichtete. So schwieg sie vor allem zur Ausgrenzung und Entrechtung der jüdischen Mitbürger durch die Nürnberger Gesetze 1935 und zu den in aller Öffentlichkeit vollzogenen Verbrechen des Novemberpogroms 1938. Allerdings unterstützte sie mit namhaften Geldbeträgen die Arbeit des Büro Pfarrer Grüber und richtete in München und Nürnberg selbst Hilfsstellen für Christen ein, die aus rassischen Gründen verfolgt wurden.


Der von Kompromissen begleitete Kurs der Kirchenleitung, ihr zwiespältiges Verhältnis zur „radikalen“ Bekennenden Kirche, ihr konfessionalistisches Engagement im Lutherrat und ihr Schweigen zur NS-Rassenpolitik riefen bei einer Minderheit bayerischer Pfarrer und Laien Widerspruch hervor. Einige Geistliche wie Karl Steinbauer oder Walter Hildmann traten dem NS-Regime konsequenter und mutiger entgegen als die Kirchenleitung. Von dieser wurden sie nicht selten als Querulanten betrachtet, die unnötig sich selbst und die Landeskirche gefährdeten. Großen Mut bewiesen auch einzelne Laien wie die Kirchenvorsteher in Seeshaupt beim Novemberpogrom 1938. Ein Laie war es schließlich auch, der von der Kirchenleitung einen öffentlichen Protest gegen die Judenverfolgung forderte: Wilhelm Freiherr von Pechmanns Appelle blieben jedoch vergeblich.


Quelle / Titel


  • © Landeskirchliches Archiv Nürnberg, Bi 6 Nr. 205

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