Für eine neue Grundlage des Rechts


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Karl-Heinz Becker befasste sich wiederholt in historischer und aktueller Perspektive mit der Beziehung von evangelischer Theologie und Rechtswissenschaft. Im November 1941 ließ er als Wehrmachtspfarrer in Rumänien die Broschüre Der Christ als Jurist drucken. Zahlreiche Druckfehler und formale Mängel zeigen, dass das Heft eilig, ohne Korrektur und ohne Verständnis des Druckers für den Inhalt entstand.


Die Broschüre war an die Mitglieder der „Gesellschaft für evangelische Theologie“ gerichtet und stellte eine Reaktion auf den Vortrag des Freiburger Wirtschaftswissenschaftlers Constantin von Dietze (1891–1973) über Nationalökonomie und Theologie dar. Über dieses Thema hatte von Dietze, den Becker seit 1937 kannte, im Juni 1941 in Alpirsbach auf der Pfingsttagung der Gesellschaft gesprochen. Von Dietze gehörte in Freiburg einem Gesprächskreis regimegegnerischer Professoren an, die zugleich in der Bekennenden Kirche engagiert waren und später in die Nachkriegsplanungen des deutschen Widerstandes involviert waren.


Von Dietzes Vortrag enthielt auch scharfe Kritik an Theologen, die dem NS-Staat eine ethisch-moralische Eigengesetzlichkeit zugestanden und sich weigerten, ihrer Weltverantwortung gerecht zu werden. Demgegenüber stieß von Dietze aus innerer Bedrängnis einen Hilferuf der Nationalökonomie an die Theologie aus und forderte von ihr, unabänderliche, aus Gottes Geboten zu entnehmende Grundsätze für die wirtschaftliche und soziale Ordnung festzustellen. Die Behandlung von konkreten wirtschaftlichen und sozialen Fragen verlangte er hingegen nicht (C. v. Dietze, Nationalökonomie, 40f.).


Becker und von Dietze verband das Bemühen, der sich absolut setzenden NS-Ideologie eine ethisch-moralische Alternative gegenüber zu stellen. In seiner Broschüre betonte Becker, dass das menschliche Zusammenleben durch Justiz und Politik nur auf der Grundlage des Glaubens und der christlichen Sittlichkeit geregelt werden könne. Gegen die Position des NS-Juristen Hans Gerber (1889–1981) forderte er dies auch für Juristen, die sich nicht zum Diener einer Weltanschauung machen und diese anderen aufzwingen dürften. Becker erklärte explizit, dass die ausschließliche Rückbindung des Rechts an das Volk im Sinne des Nationalsozialismus nicht ausreiche und zur Indifferenz führe. Die christliche Staatsloyalität finde ihre Grenze an der Gerechtigkeit. Der christliche Jurist aber wisse um die sittlichen Grenzen seines Berufes gegenüber dem Abgleiten in die Gebiete des Tendenziösen (Becker, Christ, 16).


1942 verfasste Becker in Rumänien auch die Schrift Theologie und Rechtswissenschaft. Für diese Abhandlung und für Der Christ als Jurist machte er gemeinsam mit seinem Freund Walter Höchstädter (1907–1994) innerhalb der „Gesellschaft für evangelische Theologie“ und in der Ökumene intensiv Werbung.


Darin bemühte er sich um eine Abgrenzung der Theologie von der Rechtswissenschaft. Diese schien ihm in der Gegenwart als Folge scharf kritisierter Grenzüberschreitungen etwa durch den Theologen Friedrich Gogarten (1887–1967) und den Juristen Carl Schmitt (1888–1985) notwendig geworden zu sein. Als Konsequenz dieser Scheidung forderte Becker eine Begrenzung des staatlichen Gehorsams, – nicht zum Zwecke einer Verkürzung, sondern einer Vertiefung seiner Verbindlichkeit. Nur der christliche Glaube sei dazu in der Lage, den Staat von seiner religiösen Selbstüberhöhung zu befreien.


Mit Bezug auf Aussagen von Reichsinnenminister Wilhelm Frick (1877–1946) kritisierte Becker scharf, dass die konkreten Funktionen von Staat und Justiz nicht mehr nur im Dienste ihrer eigenen sachlichen Bestimmung stünden, sondern einer Weltanschauung dienten. Dann aber sei das Kriterium für staatliches oder juristisches Handeln statt seiner Güte seine Opportunität für die Weltanschauung, die es für sich beanspruche. Dies war für Becker aber ein radikaler Bruch mit der tausendjährigen grossen und unverrückbar sittlich bestimmten Staats- und Rechtstradition des Deutschen Reiches. ... An die Stelle des bisherigen Rechtsgefühls und Gerechtigkeitssinnes ist die ideologische Radikalisierung konservativer Tendenzen und Reflexionen getreten (Becker, Theologie, 36f.).


Quelle / Titel


  • © Karl-Heinz Becker: Der Christ als Jurist, 1942, S. 10–12

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