Sturz der alten Denkmäler


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Im Jahr 2006 kam es zu einer beispiellosen Demontage und kurz darauf zur Rücknahme öffentlicher Ehrungen des früheren bayerischen Landesbischofs Hans Meiser (1881–1956).


In der Nachkriegszeit und weit darüber hinaus für seine Verdienste um die Bewahrung der Selbstständigkeit der bayerischen Landeskirche im Nationalsozialismus, die Schaffung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands und die Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen hoch geehrt, wurden ihm nun antisemitische Äußerungen, Nähe zum NS-Regime und Schweigen zum Mord an den Juden vorgeworfen. Zudem wurde ihm angelastet, sich nach dem Zweiten Weltkrieg nicht genügend von seinem Verhalten distanziert, kein ausreichendes Schuldbekenntnis abgelegt und statt den NS-Opfern den Tätern geholfen zu haben.


Als sich 2006 Meisers Geburtstag zum 125. und sein Todestag zum 50. mal jährten, brach ein publizistischer Sturm los, in dem Meiser reißerisch als „Nazi-Bischof“ und Antisemit verurteilt wurde. Anlass für die spektakulären Schlagzeilen war ein Gedenkgottesdienst, den der Landeskirchenrat zum doppelten Jubiläum angesetzt hatte. Angesichts der öffentlichen Empörung wurde der „Gedenkgottesdienst“ zunächst zum „Bedenkgottesdienst“ umbenannt und schließlich ganz abgesagt. Die Bemühungen der Kirchenleitung um ein kritisches Gedenken, zu denen ein wissenschaftlich-biographischer Sammelband (G. Herold/C. Nicolaisen, Meiser), eine Vortrags- und Diskussionsreihe in Nürnberg und eine Ausstellung des Landeskirchlichen Archivs gehörten, gingen in den Turbulenzen nahezu unter.


Schnell wurden vor allem in Nürnberg und München Stimmen laut, die eine Umbenennung der Meiser-Straßen forderten. Die erste Entnennung – eines Gebäudes – fand dann in der kirchlichen Augustana-Hochschule in Neuendettelsau statt, die die Antisemitismusvorwürfe bekräftigte und argumentierte, Meiser sei der Bekennenden Kirche in den Rücken gefallen und habe sich auch nach 1945 nicht zu seinen Fehlern bekannt.


Zu einem anderen Urteil kam der Politologe Gotthard Jasper im Juni 2006 in einem von der Stadt Nürnberg angeforderten Gutachten: Meiser gehöre zwar nicht mehr zu den besonders ehrungswürdigen Persönlichkeiten, die Straßennamen sollten aber als Dokument der Dankbarkeit der 1950er Jahre für Persönlichkeit und Leistung des Landesbischofs beibehalten werden, zumal sonst die Überprüfung weiterer Straßennamen notwendig werde.


Während sich die bayerische Kirchenleitung dieser Argumentation anschloss, erntete Jasper bei dem Erlanger Kirchenhistoriker Berndt Hamm scharfe Kritik: In einem offenen Brief vom 25. Juli 2006 urteilte er, Meiser sei den entscheidenden Bewährungsproben ... nicht gewachsen gewesen und habe die destruktivsten und verheerendsten Kräfte der deutschen Geschichte unterstützt, statt ihnen entgegenzuwirken. Vor allem aber habe er einen Antisemitismus propagiert, der von den Nachfahren der Opfer heute nur als zutiefst verletzend und beleidigend empfunden werden könne. Hamm erkannte zwar die Möglichkeit an, Straßen- und Hausbenennungen nach umstrittenen Gestalten der deutschen Vergangenheit ... beizubehalten, schloss sie für Meiser mit Rücksicht auf die Nachfahren der NS-Opfer aber aus (EvAG München, Registratur).


Zugleich formierten sich die Gegner der Straßenumbenennungen. Sie forderten eine gerechte Beurteilung Meisers und wiesen darauf hin, dass eine einseitige Verurteilung seine positiven Leistungen ebenso außer Acht lasse wie die historischen Umstände und die Motive, die er seinen Entscheidungen zu Grunde gelegt habe.


Ingesamt verlief die inner- und außerkirchliche Diskussion über die Beurteilung des früheren Landesbischofs und die Umbenennung der nach ihm benannten Straßen in einem emotional hoch aufgeladenen Klima der Erregung, das zu starken Polarisierungen führte. Sachlich-differenzierte Urteile, vor allem die Ergebnisse der vorausgegangenen kirchengeschichtlichen Forschung, wurden dabei kaum noch wahrgenommen.


Im Ergebnis beschloss der Nürnberger Stadtrat im Januar 2007 die Umbenennung der dortigen Bischof-Meiser-Straße in Spitalgasse. War in München Ende der 1990er Jahre ein Antrag auf Umbenennung noch gescheitert, entschied sich der Stadtrat im Juli 2007 gegen den Widerstand der Kirchenleitung und die Stimmen von CDU, FDP, ÖDP und Freien Wählern für eine Umbenennung. Die Meiser-Straße wurde nach kontroversen Diskussionen schließlich in Katharina-von-Bora-Straße umbenannt. Wegen einer vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof anhängigen Klage wurde diese Umbenennung jedoch erst 2010 vollzogen. Die Städte Ansbach und Weiden hingegen entschieden sich 2006 und 2009 gegen eine Umbenennung. Auch in Bayreuth blieb es bei der dortigen „Hans-Meiser-Straße“.


Quelle / Titel


  • © Foto: Nora Andrea Schulze, München

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