Landeskirche: Kampf um Selbstständigkeit


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Seit Anfang 1934 betrieben Reichsbischof Ludwig Müller (1883–1945) und sein „Rechtswalter“ August Jäger (1887–1949) die zwangsweise Eingliederung der evangelischen Landeskirchen in die Reichskirche. Auf diesem Weg wollten sie den föderal gegliederten deutschen Protestantismus in eine NS-hörige Einheitskirche umformen.


Die bayerische Kirchenleitung lehnte die Eingliederung in die deutschchristlich geleitete Reichskirche als gesetz- und bekenntniswidrig ab. Unterstützung für ihre Pläne fanden Müller und Jäger in Bayern jedoch bei den Deutschen Christen unter Wolf Meyer-Erlach (1891–1982) und bei einem Teil der nationalsozialistischen Pfarrer, vor allem aber bei Parteigrößen wie Julius Streicher (1885–1946) und Karl Holz (1895–1945).


Im Sommer 1934 forderten einzelne Pfarrer und Synodale die freiwillige Eingliederung oder den Rücktritt von Landesbischof Hans Meiser (1881–1956). Dieser sagte dem Reichsbischof die Gefolgschaft auf und protestierte gegen die Rechtsverletzungen und Gewaltmaßnahmen der Reichskirchenregierung bei Hitler.


Im August 1934 sprach die Landessynode Meiser ihr Vertrauen aus und beschloss, die Eingliederung abzulehnen. Trotzdem verfügte Reichsbischof Müller Anfang September die Eingliederung der bayerischen Landeskirche in die Reichskirche. Landesbischof Meiser erklärte diese Verfügung für ungültig und forderte die Pfarrer und Gemeinden dazu auf, sich allein nach seinen und den Anweisungen des Landeskirchenrats zu richten.


Daraufhin starteten die Deutschen Christen und die mittelfränkische Gauleitung der NSDAP eine groß angelegte Hetzkampagne gegen Meiser. In der „Fränkischen Tageszeitung“ erschien ein diffamierender Artikel mit der Schlagzeile Fort mit Landesbischof D. Meiser! Er ist treulos und wortbrüchig – Er handelt volksverräterisch – Er bringt die evangelische Kirche in Verruf (zitiert nach C. Nicolaisen, Opposition, 42). Unterstützt wurde der Propagandafeldzug gegen Meiser mit Flugblatt- und Plakataktionen.


Pfarrer und Gemeinden stellte sich jedoch hinter ihren Bischof. In ganz Bayern fanden Hunderte von Bekenntnisgottesdiensten statt, die zu Demonstrationen für Meiser wurden. Der Bischof selbst reiste von Ort zu Ort und erläuterte in unzähligen Veranstaltungen seine Haltung.


In dieser Situation ging die Reichskirchenregierung mit Gewalt vor. Mit Einverständnis der Parteileitung und der Politischen Polizei drang am 11. Oktober 1934 „Rechtswalter“ August Jäger in den Münchner Landeskirchenrat ein, erklärte Landesbischof Meiser für abgesetzt, beurlaubte mehrere Oberkirchenräte und gab die Teilung der bayerischen Landeskirche in zwei Kirchengebiete unter deutschchristlichen Bischöfen bekannt.


Die Nachricht von diesen Vorgängen verbreitete sich wie ein Lauffeuer. In München versammelten sich Tausende von Gemeindegliedern in der Matthäuskirche zu einem Gottesdienst mit dem eilends zurückgekehrten Bischof. Meiser verkündete von der Kanzel: Aber wir sind nicht von denen, die ihren Glauben lassen, ich will nicht weichen und lege hier ... Verwahrung ein gegen die Gewalt, die man an unserer Kirche übt und bin nicht gewillt, das mir von unserer Kirche übertragene bischöfliche Amt von mir zu legen.


Nach dem Gottesdienst begab sich Meiser in den von der Politischen Polizei angeordneten Hausarrest in seiner Dienstwohnung im Gebäude des Landeskirchenrats. Seine Aufforderung an die Gemeinde aber (Von Dir, Gemeinde wird jetzt die Tat der Treue gefordert) wurde in den kommenden Wochen zum Programm:


Kirchliche Vorgesetzte wiesen die Pfarrer an, jeden Dienstverkehr mit der unrechtmäßigen Kirchenleitung zu unterlassen und ihre Anweisungen nicht zu befolgen. Fast die gesamte bayerische Pfarrerschaft forderte die Wiedereinsetzung Meisers. In ganz Bayern fanden Bekenntnisgottesdienste für den arretierten Landesbischof statt.


Fränkische Bauernabordnungen protestierten bei politischen Stellen in München und Berlin. Zahlreiche Gemeindeglieder fuhren mit Sonderzügen nach München zu Bekenntnisgottesdiensten und protestierten für Landesbischof Meiser. Die gesamte Bekennende Kirche Deutschlands solidarisierte sich mit der bayerischen Landeskirche und nahm die Vorgänge in Süddeutschland zum Anlass, die Reichsbekenntnissynode zum zweiten Mal einzuberufen.


Der überraschend breite kirchliche Protest setzte eine öffentliche Unruhe in Gang, die Hitlers Interessen zuwiderlief. Zudem liefen beim Auswärtigen Amt in Berlin besorgte Nachrichten von verschiedenen Botschaften ein, die eine unerwünschte Beeinträchtigung des Verhältnisses zwischen der Reichsregierung und dem Ausland befürchten ließen.


Damit wurden die innerkirchlichen Auseinandersetzungen zu einem innen- und außenpolitischen Problem. Hitler sah sich deshalb Ende Oktober 1934 dazu veranlasst, den in Hausarrest befindlichen Landesbischof Hans Meiser und seinen ebenfalls arretierten württembergischen Amtskollegen Theophil Wurm (1868–1953) zu einem Empfang nach Berlin einzuladen. Damit war Meiser faktisch wieder Amt und konnte die Maßnahmen der Reichskirchenregierung rückgängig machen.


Das widerständige Verhalten von Landesbischof, Kirchenleitung, Pfarrern und Gemeindegliedern führte dazu, dass die Landeskirche während der NS-Herrschaft in ihrem äußeren Bestand "intakt" blieb. Die Vorgänge in Bayern – und ähnlich auch in Württemberg – bescherten Hitler seine wohl einzige innenpolitische Niederlage.


Der Widerstand richtete sich jedoch nicht gegen das NS-Regime als solches, sondern gegen die Irrlehren der Deutschen Christen und die Vermischung von Christentum und nationalsozialistischer Ideologie. Später wurde das „kollektive Widerstandserlebnis“ vom Herbst 1934 allerdings zum Widerstand gegen das NS-Regime an sich umgedeutet und trug mit dazu bei, dass sich die bayerische Landeskirche nach Ende des Zweiten Weltkriegs zur politischen Widerstandsorganisation gegen den Nationalsozialismus stilisieren konnte.


Quelle / Titel


  • © 1-3: Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte München, A 30.5+7

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