Karl Nagengast: Rettung von Behinderten


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Karl Nagengast (1909–1987) wirkte seit 1932 als Pfarrverweser in Unteraltheim, dann als Stadtvikar in Würzburg. Am 1. April 1935 wurde er Geschäftsführer der Nürnberger Stadtmission. Mit dem personellen Wechsel war bei der Stadtmission auch ein (kirchen-)politischer Wechsel verbunden: Während der bisherige Leiter Hans Baumgärtner (1892–1943) den Deutschen Christen und der NSDAP angehört hatte, war Nagengast Mitglied der Bekennenden Kirche.


Allen nationalsozialistischen Bemühungen zum Trotz, die Arbeit der Stadtmission immer weiter einzuschränken und deren Arbeitsfelder selbst zu übernehmen, konnte Nagengast neue Arbeitsfelder wie die Betreuung psychisch Kranker, Mitternachtsmission, Arbeitsbeschaffung für Strafentlassene in Form einer Schreibstube sowie Frauen- und Mädchenheime entwickeln.


Durch seine soziale Arbeit kam Nagengast im Lauf der Zeit immer mehr mit Menschen in Kontakt, die nicht der Norm der „Volksgemeinschaft“ entsprachen. Zu ihnen zählten spätestens seit 1935 auch sog. nichtarische Christen. Diese unterstützte Nagengast bereits vor der Einrichtung einer landeskirchlichen Hilfsstelle im Januar 1939 aus eigener Initiative. Wenig später sollte er in der Frage der "Euthanasie" das Wort ergreifen.


Bayerische Pfarrer wie Siegfried Büttner (Ursheim) oder Julius Kelber (Treuchtlingen) hatten zu Beginn des Jahres 1941 in Gottesdiensten und bei Urnenbeisetzungen auf die "Euthanasie"-Aktionen und den Verstoß gegen das fünfte Gebot hingewiesen (Kirchliche Lage II, 368, 372). Die Kirchenleitung sah sich auf Grund der Vielzahl der Fälle zudem dazu veranlasst, seit Dezember 1940 in mehreren Rundschreiben an die Pfarrämter die Bestattung der Urnen Ermordeter zu regeln. In diesen Schreiben finden sich Anklänge an die Predigten von Galens, die Tötungsanstalt Schloss Hartheim wurde explizit genannt.


Karl Nagengast beließ es nicht bei kritischen Äußerungen nach den Taten. Er hatte 1941 auf einer diakonischen Tagung von der seit 1939 laufenden Kranken- und Behinderten-„Euthanasie" erfahren, die bald auch dem Nürnberger Pestalozziheim, für das er zuständig war, drohte. Telefonisch war die Verlegung von 15 dort lebenden psychisch kranken älteren Menschen angeordnet worden. Nagengast konnte durch energische Vorsprache ein Gespräch im Gesundheitsamt erreichen.


Auf die Mitteilung, dass die Verlegung beschlossene Sache sei, erklärte Nagengast mit Hinweis auf das fünfte Gebot, dass er den Schwestern jede Hilfe zum Abtransport der Behinderten verbieten werde. Drohungen mit negativen Folgen für die Stadtmission und ihn persönlich konnten den biblisch argumentierenden Nagengast nicht beeindrucken. Sein Vorschlag, dass die Stadtmission die Unterbringungskosten dem Staat abnehme und selbst vollständig tragen werde, führte zu einer Vertagung des Problems um einige Tage bis zur Entscheidung der Ansbacher Bezirksregierung.


Vor diesem Gespräch wurde Nagengast von einem Anonymus – später als Leiter des Nürnberger Gesundheitsamtes identifiziert – über das geltende Recht informiert. Dem behördlichen Unverständnis wegen seiner widersetzlichen Haltung begegnete Nagengast wiederum mit dem biblisch fundierten Verweis auf Hilfe für Schwache als Christenpflicht. Da Nagengast die Forderung, schnellstmöglich eine kirchliche Kostenübernahmeerklärung für die weitere Unterbringung der Bedrohten beizubringen, mit Hilfe der Inneren Mission und des Landeskirchenrats erfüllen konnte, blieben die Behinderten unbehelligt.


1941 schied Nagengast aus dem Dienst der Stadtmission aus, 1943 wurde er als Sanitätssoldat auf eine Pfarrstelle nach Cham berufen, 1951 wurde er dort Dekan. 1953 ging Nagengast als deutscher Beauftragter und Kirchenrat zum Lutherischen Weltdienst, dem Nothilfe- und Entwicklungswerk des Lutherischen Weltbundes, nach Stuttgart. 1960 kehrte er in den bayerischen Kirchendienst zurück und wurde Dekan in Kempten.


Quelle / Titel


  • © Archiv der Stadtmission Nürnberg

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