Hans Meiser: Intervention gegen "Euthanasie"


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Im Oktober 1939 ordnete Hitler in einem auf den 1. September zurückdatierten Geheimbefehl die systematische Ermordung kranker und behinderter Menschen an. Bei der ersten Mordwelle bis August 1941 wurden ca. 70.000 Menschen vergast, erschossen oder mit Medikamenten umgebracht. Bis zum Ende der nationalsozialistischen Herrschaft verloren in Deutschland und in den besetzten Gebieten ca. 200.000 Menschen durch die Euthanasie-Aktion ihr Leben.


Davon betroffen waren auch die 1854 gegründeten Neuendettelsauer Pfleganstalten, die größte Einrichtung evangelischer Sozialarbeit in Bayern. 1940/41 unterhielten die Pflegeanstalten in und außerhalb von Neuendettelsau neun Häuser mit 1758 geistig und körperlich behinderten Bewohnerinnen und Bewohnern. Im Verlauf der ersten Mordwelle wurden mindestens 1238 Anstaltsbewohnerinnen und -bewohner in staatliche Pflegeanstalten verlegt und von dort in Tötungsanstalten verschleppt. Die meisten von ihnen wurden ermordet.


Die bayerische Kirchenleitung besaß von der Ermordung behinderter und kranker Menschen schon früh Kenntnis. Im Münchner Landeskirchenrat und in gesamtkirchlichen Gremien fanden zahlreiche Beratungen statt, aber ebenso wie die meisten anderen Kirchenleitungen hielten sich Landesbischof Hans Meiser (1881–1956) und der Landeskirchenrat mit Protesten bei staatlichen Stellen zurück. Auch auf eine öffentliche Verurteilung verzichteten sie. Bekannt geworden ist jedoch eine sehr frühe persönliche Intervention von Landesbischof Meiser beim bayerischen NS-Reichsstatthalter Franz Ritter von Epp (1868–1946).


Nach der Niederschrift eines Ministerialrats suchte Meiser von Epp schon am 23. Februar 1940 in sichtlicher Erregung auf und berichtete ihm, dass in Anstalten untergebrachte Geisteskranke ... durch die Gestapo aus den Anstalten weggeschafft wurden und daß in einzelnen Fällen den Angehörigen bereits eine Urne mit der Asche und einem Begleitschreiben zugesandt worden sei, wonach der Kranke an irgendeiner Krankheit ... verstorben sei. ... Es sei nicht zweifelhaft, daß die Kranken dort gewaltsam zu Tode gebracht würden. Meisers Intervention blieb aber erfolglos, da von Epp kurz darauf erfuhr, daß Hitler selbst den Vernichtungsbefehl gegeben hatte. Damit sah sich der Reichsstatthalter zum Eingreifen außer Stande.


Ein weiterer Protest Meisers ist nicht bekannt geworden. In einem Schreiben vom 30. Dezember 1940 berichtete er dem Schwabacher Dekan Christian Stoll (1903–1946) jedoch, daß geschehen ist, was geschehen konnte, um die Stimme der Kirche in dieser Sache nachdrücklich zu Gehör zu bringen (Landeskirchliches Archiv Nürnberg, Personen XXXVI, 119). Außer auf seine eigene Vorsprache bei von Epp bezog sich Meiser dabei vermutlich auch auf Verhandlungen des Leiters der Bodelschwinghen Anstalten Friedrich von Bodelschwingh (1877–1946) mit verantwortlichen NS-Stellen und die an verschiedene Regierungsstellen gerichteten Protestschreiben des württembergischen Landesbischofs Theophil Wurm (1868–1953), mit dem Meiser in gesamtkirchlichen Gremien eng zusammenarbeitete.


Das Ausbleiben kirchlicher Proteste gegen die "Euthanasie" in Bayern dürfte der Furcht vor Maßnahmen der Gestapo, der drohenden Beschlagnahmung der Neuendettelsauer Pflegeanstalten durch die Nationalsozialisten, der partiellen Zustimmung der Anstaltsleitung zu Eugenik und Euthanasie sowie der Bitte von Bodelschwinghs, seine Verhandlungen nicht durch Proteste zu gefährden, geschuldet gewesen sein. Es war dann aber gerade der öffentliche Protest des katholischen Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galen (1878–1946), der Hitler dazu veranlasste, die "Euthanasie"-Aktion offiziell zu stoppen – inoffiziell wurde sie allerdings als „wilde Euthanasie“ fortgesetzt.


Quelle / Titel


  • © H. Schmid, Wetterleuchten, S. 399f. (Verlag der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern)

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