Novemberpogrom 1938


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Das Novemberpogrom in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 – auch „Reichskristallnacht“ oder „Reichspogromnacht“ genannt – war eine vom nationalsozialistischen Regime aus organisierte und gelenkte Aktion gegen Juden und jüdische Einrichtungen im gesamten Deutschen Reich.


Mehr als 1400 Synagogen, Betstuben und Versammlungsräume wurden zerstört sowie Tausende von jüdischen Friedhöfen, Geschäfte und Wohnungen. 400 Menschen jüdischer Herkunft wurden in der Zeit vom 7. bis 13. November 1938 ermordet oder in den Selbstmord getrieben. Weitere Hunderte starben, als in den folgenden Tagen 30.000 Menschen in Konzentrationslager verschleppt wurden. Dieser in der neueren Geschichte der zivilisierten Welt ungeheuerliche Vorgang markierte die Wende von der Diskriminierung der Juden seit 1933 zur systematischen Verfolgung.


Bei der überwiegenden Mehrheit der evangelischen Bevölkerung und der Pfarrer stießen das offensichtliche Unrecht und die Brutalität des Novemberpogroms auf Ablehnung und Entsetzen. In traditionell kirchengebundenen Gebieten wie in Württemberg hieß es, die Juden seien doch auch Menschen und die Zerstörung ihrer Gotteshäuser stelle eine Gotteslästerung dar. Auch solche Pfarrer, die sich selbst als Antisemiten verstanden, betrachteten diese offene Gewalt und Zerstörung als Schande für jeden „anständigen“ Deutschen. Die Verurteilung des Novemberpogroms durch die Mehrheit der evangelischen Christen führte aber nur in wenigen Ausnahmefällen zu offenen Protesten.


„Begrüßt“ wurde das Novemberpogrom hingegen von den radikalen Deutschen Christen. So gab der Thüringer Landeskirchenrat am 16. November 1938 eine Kanzelerklärung heraus, in der zum weltgeschichtlichen Kampf gegen den volkszersetzenden Geist des Judentums aufgerufen wurde. In diesem Kampf habe die Kirche aus christlichem Gewissen und nationaler Verantwortung treu an der Seite des Führers zu stehen. Ähnlich äußerten sich auch einzelne deutschchristliche Pfarrer und Mitglieder von Kirchenleitungen in anderen Landeskirchen. Insgesamt aber fand das Novemberpogrom außer bei einer Minderheit keine Zustimmung oder gar Mitwirkung.


Öffentliche Proteste von Kirchenleitungen blieben aus. Die Landeskirchen schwiegen ebenso wie die Deutsche Evangelische Kirche. Dies galt auch für die zur „gemäßigten“ Bekennenden Kirche gehörenden Landeskirchen von Hannover, Bayern und Württemberg. Dabei lösten die Verbrechen des Novemberpogroms bei deren Kirchenleitungen Betroffenheit und Scham aus.


So herrschte im Landeskirchenamt Hannover lähmendes Schweigen über die Schandtat des Novemberpogroms. Aus Angst vor Gestapo und Konzentrationslager unterblieb aber eine Protestkundgebung. Der bayerische Landesbischof Hans Meiser begründete sein Schweigen mit der amtlichen Verantwortung, die er für seine Landeskirche zu tragen habe. Der württembergische Landesbischof Theophil Wurm äußerte später in seinen Lebenserinnerungen, über den kirchlichen Verantwortlichen habe es wie ein Bann gelegen, wie wenn einem von einer unsichtbaren Macht der Mund verschlossen wäre.


Zum Schweigen der Bekennenden Kirche dürfte mit beigetragen haben, dass sie in der zweiten Jahreshälfte 1938 selbst zunehmenden Repressalien von Staat und Partei ausgesetzt war. In seiner – vor allem nach der Gebetsliturgie der Vorläufigen Kirchenleitung von Ende September 1938 – bedrängten Lage wagte es auch der „radikale“ Teil der Bekennenden Kirche nicht, gegen die Verbrechen des Novemberpogroms zu protestieren.


Dementsprechend harmlos fiel die Kommentierung auf dem Kirchentag der Bekennenden Kirche vom 10. bis 12. Dezember 1938 in Berlin-Steglitz aus. Sie beschränkte sich auf die Feststellung der Gleichheit aller Menschen vor Gott und eine Solidaritätsbekundung, freilich „nur“ mit den Christusgläubigen aus den Juden. Die Verbrechen beim Namen zu nennen und öffentlich anzuprangern, blieb Einzelnen überlassen.


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