Walter Höchstädter: Flugblatt gegen Mord an Juden


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Eine der beeindruckendsten Stellungnahmen gegen Antisemitisimus und Rassenwahn stammt von dem bayerischen Pfarrer Walter Höchstädter (1907–1994). Höchstädter hatte in den politischen Wirren des Jahres 1932 noch kurzfristig mit Hitler sympathisiert, wurde nach Hitlers Verhalten beim Potempa-Mord aber noch im selben Jahr zum Gegner des Nationalsozialismus. Dazu trugen auch die Behandlung der politischen Gegner, die Gleichschaltungsmaßnahmen, die Abschaffung der Pressefreiheit und nicht zuletzt die Rassenpolitik nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 bei.


Starken Einfluss auf Höchstädter übten sein Vater Emil Höchstädter, der dem regimefeindlichen Lempp-Kreis angehörte, und die Theologie Karl Barths aus. Höchstädter war Anhänger der entschiedenen Bekennenden Kirche und litt unter dem kompromissbereiten Verhalten der bayerischen Kirchenleitung. Zu seinen Freunden zählten der fränkische Pfarrer Karl-Heinz Becker, der schon vor 1933 vor dem Nationalsozialismus gewarnt hatte, und Helmut Gollwitzer, der aktiv in der altpreußischen Bekennenden Kirche mitarbeitete und nach 1937 den verhafteten Martin Niemöller in dessen Berlin-Dahlemer Gemeinde vertrat.


Höchstädter, seit 1935 Pfarrer in Kulmbach, wurde sofort zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zum Kriegsdienst eingezogen. Er nahm als Soldat am Frankreich- und Jugoslawienfeldzug teil, bis er ab 1941 als Kriegspfarrer eingesetzt wurde. Er verabscheute den Rassenhass der Nationalsozialisten und hielt den Krieg für ein Verbrechen. Nach Einsätzen in Rumänien und Russland wurde er Ende 1943 im französischen Kriegslazarett Annecy stationiert. Dort verfasste er im Sommer 1944 die Flugschrift Darum seid nüchtern! Ein Gruß an die Brüder, die er in einer Auflage von 1.000 Stück in einer Druckerei vervielfältigen ließ und persönlich oder mit der Feldpost verteilte.


Anlass für diese Schrift waren Greueltaten der Nationalsozialisten, die er in Russland und Frankreich selbst miterlebt hatte oder von denen ihm berichtet worden war, sowie ein Heimaturlaub, bei dem ihm sein Vater über den Prozess gegen die Geschwister Scholl und den Münchner Laienbrief des Lempp-Kreises berichtet hatte. Rückblickend schrieb Höchstädter in seinen Erinnerungen dazu: Ich konnte nimmer schweigen. Ich mußte reden, nachdem unsere Kirchenführer zu den Greueln der Judenvernichtung und den Kriegsverbrechen beharrlich schwiegen. (W. Höchstädter, Strudel, 262).


In seiner Schrift hieß es: Das Blut Millionen hingeschlachteter Juden, von Männern, Frauen und Kindern schreit heute gen Himmel. Da darf die Kirche nicht schweigen. Sie darf da nicht sagen, die Regelung der Judenfrage sei eine Angelegenheit des Staates ... Es gibt ... keine indifferente Haltung des Christen in dieser Frage. Es gibt keinen gemässigten – christlichen – Antisemitismus ... Alle Ergebenheitskundgebungen und -telegramme von Kirchenführerkonferenzen und Bischöfen lutherischer Prägung fällten höchst unbiblische Werturteile ... Die Kirche hat nicht Werturteile zu fällen, sondern den Glauben zu predigen ... und die Gewissen der Gläubigen zu schärfen ... Wehe ihr, wenn sie das nicht tut! Wehe ihr, wenn sie durch Schweigen oder durch allerlei zweifelhafte Ausflüchte an den Hassausbrüchen der Welt mitschuldig wird!


Höchstädters Flugschrift ist in den Annalen der deutschen Geschichte während der NS-Zeit ... mit seiner ausdrücklichen und uneingeschränkten Ablehnung des eliminatorischen Antisemitismus ein außerordentlich seltenes und leuchtendes Beispiel (D. J. Goldhagen, Vollstrecker, 505). Dies gilt vor allem, weil Höchstädter grundsätzlich jede Form von Antisemitismus verurteilte und damit auch den in der evangelischen Kirche tief verwurzelten christlichen Antisemitismus. Seine Flugschrift, die ihn schwer gefährdete, blieb von den Nationalsozialisten unentdeckt. Kurz nach Fertigstellung der Schrift geriet er in Kriegsgefangenschaft, was ihn auch vor den Folgen der Anzeige eines Arztes aus seinem Kriegslazarett wegen „Zersetzung der Wehrkraft und Verbreitung von Feindpropaganda“ bewahrte.


Quelle / Titel


  • © 1+2: Privatbesitz Michael Höchstädter

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