Die Protestanten und die Republik


  • 1tes Bild zum Dokument
    Bildlupe

Nach der Volkszählung von 1925 waren 64,1 Prozent der Bevölkerung des Deutschen Reiches, d. h. knapp 40 Millionen, evangelisch. Die aktiven Kirchenmitglieder entstammten zumeist dem „alten Mittelstand“, hinzu kamen bäuerliche und adelige Familien.


Dieser Kern des protestantischen Sozialmilieus stand der demokratischen, weltanschaulich neutralen Weimarer Republik skeptisch bis ablehnend gegenüber. Der Schock infolge von Kriegsniederlage und Revolution 1918 wirkte lange nach. Die emotional tiefe Bindung der deutschen Protestanten an den monarchischen Nationalstaat wilhelminischer Prägung überdauerte dessen Zusammenbruch. Der Protestantismus blieb auch in der Weimarer Republik mehrheitlich nationalistisch und zumeist auch monarchisch gestimmt.


Die protestantische Mehrheit konzentrierte ihre politische Aufmerksamkeit auf die mit Kriegsende entstandene „Dolchstoßlegende“ sowie den Kampf gegen die „Kriegsschuldlüge“ und das „Diktat von Versailles“. Die Bedrohungsängste richteten sich vor allem auf den Kommunismus, die Juden und den sogenannten „Kulturbolschewismus“. Damit hatten die Protestanten Anteil an der Radikalisierung des deutschen Nationalismus nach dem Ersten Weltkrieg.


Der protestantische Vorbehalt gegen demokratische Volksherrschaft blieb während der Weimarer Republik weitgehend erhalten. Der Verlust des Bündnisses von Thron und Altar und infolgedessen auch die Gefährdung der Position als Leitkultur im Deutschen Reich verstärkte unter den Protestanten trotz manchem temporären „kirchenoffiziellen Vernunftsrepublikanertums“ eher eine rückwärtsgewandte, distanzierte Haltung gegenüber der Republik sowie der demokratisch konstituierten Nation.


Viele Protestanten fanden ihre politische Heimat in der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). 1918 aus den zersplitterten Parteien des rechten Lagers entstanden, agierte sie mit antidemokratischer, monarchischer und antisemitischer Stoßrichtung.


In der Sozialethik der Zeit spielte die konstruktive Auseinandersetzung mit den Grundlagen der Demokratie, wie Gewaltenteilung, Menschenrechte, Parlamentarismus und Mehrheitsprinzip, eine marginale Rolle. Im von Begriffen wie Krise, Gemeinschaft, Autorität und Ordnung geprägten, aufklärungskritischen oder -feindlichen Denken vieler Theologen spielte der Mensch als autonom handelndes, verstandesgeleitetes Individuum nur eine untergeordnete oder negative Rolle. Eine „veritable Theologie der Demokratie“ (Nowak) war unter den zahlreichen neuen theologischen Entwürfen nach 1919 nicht zu finden.


Quelle / Titel


  • © Ev. Arbeitsgemeinschaft für Kirchl. Zeitgeschichte München, KK B 395:68