Erste Ernüchterung und Resignation


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Viele, insbesondere ältere evangelische Pfarrer, die deutsch-national gesinnt waren und dem untergegangenen Kaiserreich nachtrauerten, begrüßten anfänglich die als „nationale Revolution“ bejubelte Machtübernahme Hitlers am 30. Januar 1933.


Bei nicht wenigen machte sich allerdings relativ bald schon Ernüchterung und Resignation breit, weil sie erleben mussten, dass die Nationalsozialisten ihre rechtskonservativen Bündnispartner, die ihnen zur Macht verholfen hatten, möglichst bald wieder loswerden wollten und deren Ziele einer christlichen Monarchie und Ständeordnung keineswegs teilten.


Ein eindrückliches Beispiel für rasche Enttäuschung anfänglicher Begeisterung und Hoffnung ist der Koblenzer Pfarrer Otto Keller (1864–1946), der sich im Mai 1933 einmütig von der Kreissynode für eine dritte Amtsperiode zum Superintendenten des Kirchenkreises Koblenz wählen ließ und bei der Gelegenheit seiner Zustimmung für die neue Regierung enthusiastisch Ausdruck verlieh: Als Deutsche und als evangelische Christen, als Kinder unseres Vaterlandes und als Glieder unserer Kirche begrüßen wir freudig den Durchbruch, den Sieg dieser nationalen Erhebung und danken Gott dafür [...].


Nach nur vier Monaten war Keller von der politischen und kirchlichen Entwicklung derart ernüchtert, dass er überraschend zurücktrat. In seiner Abschiedspredigt am 8. Oktober 1933 sorgte er sich bemerkenswerterweise nicht nur um die Unabhängigkeit der Kirche, sondern er mahnte auch an, dass die Kirche in der Lage sein und die Freiheit haben müsse, öffentlich auf Rechtsverletzungen des Staates hinzuweisen.


Wörtlich sagte er: […] ich [habe] Sorgen um die Zukunft unserer Kirche […] Es ist die Sorge, daß bei dieser engen Verbindung von Christentum und Volkstum das richtige, gebotene Verhältnis der beiden Größen sich verschieben könnte, so daß das Christentum vom Volkstum bestimmt und beherrscht wird, während doch umgekehrt jedes, auch unser deutsches Volkstum immer wieder geläutert, geheiligt, erneuert werden muß durch den Geist Jesu Christi. Es ist die Sorge, daß die Kirche den starken, angenehmen Schutz des Staates allzu teuer bezahlt, um den Preis ihrer Freiheit, ihrer Unabhängigkeit, derer sie doch gerade bedarf, um dem Staat und dem Volke recht zu dienen, daß sie nicht mehr die hohe Aufgabe erfüllen kann, das Gewissen des Staates zu sein, d. h . wenn einmal etwas im Staat geschehen sollte, was nicht recht ist, es auch zu sagen: Es ist nicht recht.


Quelle / Titel


  • Evangelisches Sonntagsblatt für Koblenz und Umgebung Nr. 43, S. 338 ©AEKR Boppard

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