Oppositionelle Alternative bei der Kirchenwahl 1933


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Die vom NS-Staat überraschend ausgeschriebenen Kirchenwahlen am 23. Juli 1933 sollten Klarheit über die kirchenpolitischen Kräfteverhältnisse innerhalb der evangelischen Kirche bringen. Den beteiligten Kirchenparteien blieben nur ganze neun Tage Zeit, um sich in der Öffentlichkeit mit ihren kirchenpolitischen Zielen zu präsentieren.


Die Glaubensbewegung Deutsche Christen erlebte seit Monaten einen großen Zulauf an Mitgliedern, zudem wurde sie von den lokalen Behörden der NSDAP sowie von deren Parteipresse und Propaganda nachhaltig unterstützt. Hier bedurfte es keiner langen Vorbereitungszeit, sie profitierten von der knapp bemessenen Frist für den Wahlkampf.


Anders stand es bei der Jungreformatorischen Bewegung, jener Gruppe evangelischer Pastoren und Theologen, die die kirchenpolitischen Ziele der Deutschen Christen bekämpften. Sie fühlten sich von der anberaumten Kirchenwahl herausgefordert und nahmen den Kampf auf, trotz der sie benachteiligenden kurzen Vorbereitungszeit.


Hanns Lilje, Walter Künneth und Martin Niemöller starteten mit bescheidenen Mitteln quasi über Nacht eine Wahlinitiative. In der Kürze der Zeit gelang es der jungreformatorischen Leitung, alle evangelischen Kräfte und Gruppen, die nicht mit den Deutschen Christen sympathisierten, als Wahlvorschlag „Evangelische Kirche!“ zu vereinigen. In Berlin errichtete die Wahlliste ein Wahlkampfbüro, von wo aus Werbemittel wie Flugblätter mit „Kundgebungen“ und „Aufrufen“ zur anstehenden Wahl an die Gemeinden im ganzen Reich versandt wurden.


Die große öffentlich herausgestellte Nähe der Deutschen Christen zum NS-Staat sowie deren Unterstützung durch die NSDAP setzte die Liste „Evangelische Kirche!“ unter Druck, sich ebenfalls loyal gegenüber dem Staat zu erklären, um nicht als die staatsilloyale Wahlalternative zu erscheinen. Die Führung der Jungreformatorischen Bewegung war daher in den öffentlichen Wahläußerungen bemüht, stets ihre loyale Haltung gegenüber dem Staat und seinen obersten Repräsentanten zu betonen.


Darüber hinaus stellte man aber mit Nachdruck heraus, dass man eine Kirche frei von Vertretern mit einer politischen Weltanschauung anstrebe. Unmissverständlich formulierte man, dass politische Methoden in der Kirche deplaziert seien, da das Wesen der Kirche unpolitisch sei, wie man es in der Wahlparole Kirche muss Kirche bleiben zum Ausdruck brachte.


Das Loyalitätsbekenntnis zum „neuen“ Staat und das Plädoyer für eine freie entpolitisierte Kirche waren ein Ergebnis des ordnungstheologischen Denkens sowie des steigenden öffentlichen Legitimationsdrucks in der Wahlkampfzeit. Am Ende erwies sich der Einsatz der Wahlliste „Evangelische Kirche!“ als ambivalent: Gegenüber den Deutschen Christen erwies man sich als deutlich profilierte Opposition, die insbesondere deren symbiotische Nähe zum NS-Staat ablehnte. Andererseits bedeutete das auch von der Liste „Evangelische Kirche!“ zum Ausdruck gebrachte affirmative Staatsverständnis die Aufgabe eines wesentlichen Moments christlicher Freiheit, denn man entließ den Staat in seinem Handeln durch diesen Kurs immer mehr sich selbst, ohne eine kirchliche „Wächterfunktion“ wahrzunehmen.


Das Ergebnis der Kirchenwahl mit seiner hohen Überlegenheit für die Deutschen Christen war wegen der einseitigen Unterstützung für diese Kirchenpartei zu erwarten gewesen, gleichwohl fiel das Ergebnis für die Jungreformatorische Bewegung und ihre Liste enttäuschend aus. Im weiteren Verlauf des Kirchenkampfs wurde das Wahlengagement der Jungreformatorischen Bewegung bedeutsam für die spätere Herausbildung der Bekennenden Kirche.


Quelle / Titel


  • ©Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte, A 1.4

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