Unterlaufen des Verbots kirchlicher Jugendtreffen


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Das Pfarrhaus von Köngen war während des Zweiten Weltkriegs nicht nur Zufluchtsort für verfolgte Juden, sondern ein Treffpunkt der evangelischen weiblichen Jugend der näheren und weiteren Umgebung. Seit Kriegsbeginn waren Freizeiten und größere Treffen der evangelischen Jugend in Württemberg, zumal Großveranstaltungen, endgültig verboten worden.


Um das Verbot zu umgehen, initiierte Johanna Stöffler als privat getarnte „Pfarrhauseinladungen“ nach Köngen, unter Jugendlichen „Paula“ genannt. Die Treffen fanden im kleinen Kreis statt und wurden zum Vorbild für ähnliche Veranstaltungen in weiteren württembergischen Pfarrhäusern.


Darüber hinaus gelang es dem Ehepaar Stöffler, auch das Verbot von Großveranstaltungen zu umgehen. In Absprache mit dem württembergischen Landesjugendpfarrer Dr. Manfred Müller erfand das Ehepaar Jugendtreffen, die von 1940 bis 1944 an den Pfingstmontagen in der Köngener Kirche stattfanden. Zu diesen Treffen kamen anfänglich ca. 500, 1944 dann sogar 1500 Mädchen zu Fuß oder auf Fahrrädern nach Köngen.


Pfarrer Manfred Müller schreibt in seinen persönlichen Erinnerungen „Jugend in der Zerreißprobe“:


Kurz vor Pfingsten 1940 rief mich der Köngener Pfarrer Stöffler an und sagte: ‚Stell dir vor, unsere Gemeinde hat für ein neues Abendmahlsgerät (nach meiner Erinnerung) 538 g Silber gesammelt. Ist das nicht fabelhaft?‘ Ich bestätigte und wusste damit, dass sich diese Zahl von Mädchen angemeldet hatte. Von Jahr zu Jahr sind es mehr geworden. 1944, also im letzten Kriegsjahr, saßen 1500 in der bis ins letzte Eckchen besetzten Kirche.


In den ersten Jahren reisten noch viele mit der Bahn an. Im letzten war dies ausdrücklich ‚wegen des großen Personenverkehrs‘ verboten. So setzte man sich eben aufs Fahrrad oder kam zu Fuß. Manche sind um vier Uhr aufgestanden, um um neun Uhr zur Stelle zu sein. Für die Radfahrerinnen waren an den Ortsausgängen Mädchen aufgestellt, die Plätze zum Abstellen der Vehikel anwiesen. Trotz deren großer Zahl ist nie eines davon verwechselt oder gar gestohlen worden!


Das Besondere an den Köngener Treffen war – abgesehen von der Größe –, dass es für alle Teilnehmerinnen zwei Teller Nudelsuppe im Pfarrhaus gab! Die Pfarrfamilie Stöffler hatte den ganzen Wohnstock ausgeräumt und sogar die Betten auf den Boden gebracht. An ihre Stelle wurden Tische und Stühle gestellt, so dass je 200 Mädchen gleichzeitig essen konnten, an weißen Tischtüchern, denn es war ja Festtag!


Mit geliehenen großen Wurstkesseln begann am frühen Morgen das Kochen. Die Lebensmittel – Fleisch, Eier und Nudeln – hatte die Familie seit Jahresbeginn gespart, oder sie waren von der Gemeinde geschenkt. Im letzten Jahr erschienen zwei Gestapobeamte genau in dem Augenblick, als ein Mädchen zwanzig Eier ins Haus brachte. Das war natürlich nicht erlaubt. Doch was wollten sie sagen, als der Pfarrer ihnen erzählte, die Eier seien der Dank dafür, dass eine seiner Töchter der Schwester der Überbringerin am Sonnabend aus dem Garten den Brautstrauß gerichtet habe.


Über Mittag hat es jeweils eine halbe Stunde gedauert, bis 200 Mädchen abgefüttert und für die nächsten die Tische gedeckt waren. Teller und Besteck waren im Wesentlichen von den Gaststätten des Dorfes geliehen und vom Pfarrhaus unten am Teller mit Siegellackzeichen kenntlich gemacht. Einer der Wirte gab sogar 24 schwere silberne Löffel. Als sie ihm von der Pfarrfrau zurückgebracht wurden, hat er sie nicht einmal gezählt, sondern einfach in die Schublade geworfen. Er war sicher, dass die Zahl stimmte!


Die beiden Hauptgefahren waren die Fliegeralarme und die Gestapo. Es war schon ein besonderes Geschenk, dass nur nach Schluss des letzten Treffens, als alle schon aus der Kirche waren, Fliegeralarm gegeben wurde. Die beiden kontrollierenden Gestapo-Männer fielen natürlich unter so vielen Mädchen auf. Sie machten sich eifrig Notizen, aber sie haben nie eingegriffen.


Und der Inhalt des Tages? Abgesehen von der Gruppe, die gerade beim Essen im Pfarrhaus war, blieben wir den ganzen Tag in der Kirche. Wir begannen mit einem Gottesdienst. Diesem schloss sich nach kurzem Singen – hauptsächlich von Kanons, die damals ihre große Zeit hatten, aber auch von Volksliedern – eine einstündige Bibelarbeit an. Die Aufmerksamkeit war erstaunlich und ungeteilt.


Dann wurde wieder gesungen, ich selbst dirigierte von der Kanzel aus, der Gemeindepfarrer erzählte öfters zu Lichtbildern aus der Diaspora – oder zeigte Bilder christlicher Kunst. Den Abschluss bildete jeweils das Lebensbild einer Christin, das Frau Stöffler – von der Kanzel aus sprechend – so packend darbot, dass es großen Eindruck hinterließ (Manfred Müller: Jugend in der Zerreißprobe. Persönliche Erinnerungen und Dokumente eines Jugendpfarrers im Dritten Reich, Stuttgart 1982, S. 83–85).


Quelle / Titel


  • © Foto: Ruth Stöffler