„Sippenhaft“ für die Familie


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Die „Sippenhaft“ wurde von den Nationalsozialisten seit 1933 sporadisch als Repressionsmaßnahme gegen die Angehörigen von Regimegegnern verwendet und diente dazu, in der Bevölkerung Angst zu schüren.


Besonders drastisch wurde die „Sippenhaft“ nach dem 20. Juli 1944 angewendet. So setzte im Anschluss an ein Treffen Himmlers, Keitels und Hitlers im „Führerhauptquartier“ bei Rastenburg am 30. Juli 1944 eine Massenverhaftung von Angehörigen der Widerstandskämpfer ein. Dazu gehörten die Familien der „Verschwörer“ des 20. Juli wie auch die Familien derjenigen, die in sowjetischer Kriegsgefangenschaft das Gründungsmanifest des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ vom 13. Juli 1943 unterzeichnet hatten.


Für den Vollzug der „Sippenhaft“ war seit Anfang August 1944 die Gruppe XI der Sonderkommission unter SS-Sturmbannführer Karl Neuhaus zuständig. Allein in den Monaten Juli und August des Jahres 1944 wurden mehr als 140 Personen als „Sippenhäftlinge“ interniert.


Ingeborg Schröder wurde am 15. August 1944 auf Anordnung des Reichssicherheitshauptamtes in Neumünster verhaftet und am Folgetag nach Kiel gebracht. Ihre Kinder Hans-Dietrich, Harring und Sibylle-Maria kamen in Kinderheime der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt in Heiligenhafen, später in Bad Segeberg. Am 6. Oktober 1944 teilte die Staatspolizeistelle Kiel der Geheimen Staatspolizei der Staatspolizeistelle in Schwerin mit, dass über Ingeborg Schröder die „Sippenahndung“ verhängt worden war.


Zwischenzeitlich wurde vor dem Reichskriegsgericht gegen Johannes Schröder in seiner Abwesenheit ein Verfahren wegen Hochverrats eröffnet. Bei einer Hausdurchsuchung wurde ein Brief von Bauer August Hering aus Breesen in Mecklenburg gefunden, der Ingeborg Schröder darüber informiert hatte, dass ihr Mann im Sender Nationalkomitee Freies Deutschland spricht. August Hering wurde wegen des Abhörens des Senders „Freies Deutschland“ zum Tode verurteilt.


Am 7. Oktober 1944 wurde Ingeborg Schröder aus der Polizeihaft in die Wohnung der Eltern in Kiel entlassen. Im November kehrte sie nach Neumünster zurück, wo sie bis zum 4. März 1945 blieb. Um weiterer Verfolgung zu entgehen, folgte sie unter Druck dem Rat, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen. Daraufhin bekam sie ihre Kinder zurück, die sie Ende Dezember 1944 aus dem Heim in Bad Segeberg abholen konnte.


Am 5. Februar 1945 erließ der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht Wilhelm Keitel den Befehl: Für Wehrmachtsangehörige, die in der Kriegsgefangenschaft Landesverrat begehen und deswegen rechtskräftig zum Tode verurteilt werden, haftet die Sippe mit Vermögen, Freiheit oder Leben. Den Umfang der Sippenhaftung im Einzelfall bestimmt der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei (Scheurig, S. 222).


Vier Wochen danach, am 8. März 1945, wurde Ingeborg Schröder mit ihren Kindern mit dem Zug nach Weimar gebracht, wohin sie eine Schwester der NSV begleitete. Danach wurden sie am 9. März von SS-Wachen ins KZ Buchenwald gebracht, wo sich andere „Sippenhäftlinge“ befanden.


Am 6. April 1945 traf Ingeborg Schröder mit ihren Kindern im Transport der „Sippen- und Sonderhäftlinge“ auf dem Weg ins KZ Dachau in Markt Schönberg ein, wo sie bis 16. April blieb, danach kam sie ins KZ Dachau, dem eigentlichen Sammelpunkt der beiden Transporte. Dort wurden weitere Sonderhäftlinge aus den Konzentrationslagern Flossenbürg und Mauthausen zusammengezogen.


Schließlich waren es 139 Gefangene aus siebzehn Ländern Europas, die als Geiseln der SS in drei Transporten ins „SS-Sonderlager Innsbruck“ verschleppt wurden. Sie sollten im Rückzugsgebiet der „Alpenfestung“ dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD, SS-Obergruppenführer und General der Polizei Ernst Kaltenbrunner als Faustpfand für Verhandlungen mit den Westalliierten dienen.


Von Tirol gelangten die Geiseln, streng bewacht von einem Begleitkommando der SS und des SD, nach Südtirol, wo sie in Niederdorf im Hochpustertal am 30. April 1945 von Soldaten der Wehrmacht unter dem Kommando des Hauptmannes Wichard von Alvensleben aus der Gewalt der SS befreit wurden. Alvensleben übernahm auch den Schutz der Häftlinge und brachte sie ins Hotel Pragser Wildsee. Am 4. Mai 1945 übernahmen amerikanische Soldaten die Häftlinge. In zwei Transporten brachten die Amerikaner sie am 8. und am 10. Mai 1945 nach Capri. Am 29. Juni kehrte Ingeborg Schröder mit ihren Kindern nach Neumünster zurück.


Vom Schicksal seiner Familie erfuhr Johannes Schröder erst nach dem Krieg in der Gefangenschaft durch eine Rundfunkansprache des Münchner Domkapitulars Johann Neuhäusler im Vatikansender.


Quelle / Titel


  • © Reproduktion Gedenkstätte Deutscher Widerstand

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