Eine mutige Denkschrift


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Durch Freunde und Kolleginnen war Elisabeth Schmitz seit 1933 mit den alltäglichen Folgen der nationalsozialistischen Rassenpolitik konfrontiert. In den Jahren 1935 und 1936 entschloss sie sich dazu, über die furchtbare Tragödie, die sich seit drei Jahren in unserer Mitte vollzieht, zu informieren.


Im Unterschied zu ihrer Kirche wollte sie angesichts der Not nicht schweigen. Sie verfasste im Sommer 1935 die Denkschrift: „Zur Lage der deutschen Nichtarier“und ergänzte sie bis Mai 1936 um einen Nachtrag.


Von diesem 23-seitigen Text zog Schmitz eigenhändig 200 Exemplare ab und gab sie an die 2. Vorläufige Leitung der Bekennenden Kirche, den Landes- und Provinzialbruderräten von Altpreußen, Kurhessen, Frankfurt am Main, Nassau-Hessen, Berlin, Brandenburg und der altpreußischen Provinzen, der Württembergischen Sozietät sowie einigen einflussreichen Persönlichkeiten der Bekennenden Kirche, u. a. Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer. Einige Exemplare übergab sie dem reformierten Bekenntnispfarrer Wilhelm Niesel, der sie auf der Arbeitskonferenz der Bekennenden Kirche in Brandenburg/Havel Mitte Juni 1936 verteilen wollte.


Schmitz’ namentlich nicht gekennzeichneter Text war der wohl deutlichste Protest gegen die Judenverfolgung innerhalb der Bekennenden Kirche. Im Unterschied zur Denkschrift von Marga Meusel ging es ihr um die Situation aller nichtarischen Deutschen und nicht nur der nichtarischen Christen.


Im Vorwort sprach Schmitz offen aus, dass sich die Kirche und alle Christen an dem, was den rassisch Verfolgten widerfuhr, mitschuldig machten: Denn für die Kirche handelt es sich nicht um eine Tragödie, die sich vollzieht, sondern um die Sünde unseres Volkes, und da wir Glieder dieses Volkes sind und vor Gott verantwortlich für dieses unsere Volk, um unsere Sünde. Jeder sei, so schrieb sie an einer späteren Stelle der Denkschrift, unentrinnbar in diese Schuldgemeinschaft ... verstrickt.


Und sie formulierte ihren Vorwurf an die öffentlich schweigende Kirche noch schärfer: Wie könne die Kirche auf Vergebung der Sünde hoffen, wenn sie, so Schmitz, Tag für Tag ihre Glieder in dieser verzweifelten Not im Stich lässt, der Verhöhnung aller Gebote Gottes zusieht, ja die öffentliche Sünde nicht einmal zu bekennen wagt, sondern – schweigt? Eindringlich forderte sie die Bekennende Kirche dazu auf, mit einer öffentlichen Erklärung gegen die Judenverfolgung die Gewissen wachzurütteln.


In der Denkschrift führte Schmitz zahlreiche Beispiele für die äußere und innere Not der Verfolgten auf und benannte auch die Täter bzw. Tätergruppen der alltäglichen Verfolgung. Mit Scham verwies sie darauf, dass viele der antisemitischen Täter – zumindest nominell – Protestanten waren. Sehr klar sprach sie auch aus, was jeder Christ hätte sehen müssen: Die rassistisch motivierten Gesetze des nationalsozialistischen Staates verletzten göttliche Gebote.


In einem Nachtrag zur Denkschrift skizzierte sie Anfang Mai 1936 die Folgen der Nürnberger Rassengesetze und sprach noch einmal klar aus, um was es moralisch wie theologisch gehe: die Schuld des Volkes und die Sünde der Kirche.


Elisabeth Schmitz dringlicher Appell an die Bekennende Kirche verhallte wirkungslos.


Quelle / Titel


  • © Evangelisches Zentralarchiv in Berlin, Best. 50 Nr. 110

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