Befreiung


  • 1tes Bild zum Dokument
    Bildlupe

Besonders gefährlich waren die Ortswechsel. Familie Krakauer nutzte beispielsweise die Straßenbahn oder die Eisenbahn, obwohl ständig mit Kontrollen zu rechnen war; einmal ergab sich eine Mitfahrgelegenheit auf einem Lastkraftwagen, einmal musste eine längere Distanz mit dem Fahrrad zurückgelegt werden, Transportmittel waren aber auch ein Pferdewagen oder ein Autobus und häufig waren weite Strecken zu Fuß zu bewältigen – angesichts des immer schlechter werdenden Schuhwerks eine zunehmende Tortur. Gegen Ende des Krieges mussten die Unterkünfte in immer schnelleren Zeitabständen gewechselt werden.


Am 11. April 1945 kamen die Krakauers schließlich bei der Pfarrfrau Hildegard Spieth in Stetten unter. Dort erlebten sie am 21. April gegen 16.00 Uhr den Einmarsch der amerikanischen Truppen.


Max Krakauer beschrieb dieses Ereignis im Rückblick:


Es wurde 16 Uhr, und wir saßen am Kaffeetisch, als von der Straße ein Ruf ins Zimmer drang: ,Amerikanische Tanks!‘ Mit wilden Sprüngen stürzte ich ins Freie, während die Frauen mit ein paar Nachbarn in den Pfarrhauskeller gingen. Langsam kamen drei amerikanische Soldaten die Straße herauf, nach allen Seiten scharf beobachtend, gefolgt von einem Jeep, auf dem fünf Mann saßen. Dann schoben sich einige Panzerwagen um die Ecke und bauten sich an der Kirche auf. ,Sie sind da!‘ rief ich meiner Frau zu und konnte nur mit Gewalt meine Erregung bändigen.


Mit ihr kamen auch die anderen aus dem Keller. Eine größere Anzahl Soldaten in Gefechtsformation zog jetzt vorbei. Die gesamte Bevölkerung erschien vor den Häusern. Ich hielt meine Frau am Arm, die Finger krampften sich in das Tuch ihres Mantels. Am liebsten hätten wir laut aufgeschrien.


Doch noch immer mußten wir schweigen, durften nicht auffallen und uns nichts merken lassen. Denn wenn aus irgendwelchen Gründen der Ort wieder hätte geräumt werden müssen, wir wären verloren gewesen und das Pfarrhaus mit uns. Meine Frau sah mich an und ich sie, unfähig, ein Wort zu sprechen. Aber unsere Gesichter sagten mehr als alle Worte: Wir würden unser Kind wieder sehen! (Krakauer, Lichter, 149).


Quelle / Titel


  • © Foto: Konrad Autenrieth, Kernen-Stetten