Albrecht Goes: Die unablösbare Kette


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Auch Kinder wurden Opfer der Shoa. Mit dem 1960 geschriebenen Gedicht „Die unablösbare Kette“ setzte Albrecht Goes den jüdischen Kindern ein Denkmal. Das erste Gedicht, das er nach seiner Heimkehr aus dem Krieg schrieb und das er seinem ersten, 1947 erschienenen, Nachkriegsgedichtband voranstellte, war das Gedicht „Verse für ein Kind“. Es beginnt:


Da mich der Tod entließ aus seinen Händen, / Die wie die Hände eines Fremden sind, / Kehrt ich ins Eigne heim und fand das Leben, / Dich fand ich, Liebes du, des Lebens Kind.


Die eigenen Kinder durften leben, jüdische Kinder gingen zu Tausenden in den Tod.


Mit der Erinnerung an das eigene Leben verknüpft der Dichter die Erinnerung an die Ermordung der Juden durch die Kulturnation, die einen Friedrich Hölderlin hervorbrachte.


Im Gedicht „Die unablösbare Kette“ stehen drei Bäume für drei Lebensalter des damals 52-Jährigen:


Der Thujabaum im Pfarrgarten von Langenbeutingen steht für eine unbeschwerte Kindheit. Die früh verstorbene Mutter steht vor Augen wie der ältere Bruder Helmut. Die Erinnerung an die humanistische Bildung, die der Knabe genoss, schlägt um in den ganz anderen Lehrsatz:


NUSSBAUMHOLZ IST GUT FÜR GEWEHRSCHÄFTE.


Die Wehrmacht, der er selbst angehört hatte, war, wie erst Jahrzehnte später öffentlich bekannt wurde, aktiv an den Tötungen beteiligt, die Wehrmacht eine Mordkommandomaschine, wie Goes später schrieb.


Die Platanenallee entlang dem Neckar gegenüber dem Hölderlinturm steht für das Mannesalter des Studenten in Tübingen. Noch gibt es die Stimmen jüdischer Mädchen, sie sind vorläufig, bald werden sie verstummt sein. Dann gibt es nur noch:


DEN DEFINITIVEN SAMMELNAMEN (der ermordeten) ANNE FRANK.


Die dritte Strophe steht für den Herbst des Lebens, Seligkeit vorgaukelnd, denn die Erinnerung, die unerbittlich gefordert ist, ist bitter. Das Leben seiner Generation, des Wehrmachtspfarrers, des Christen, des Deutschen ist unauflöslich verkettet mit der leidvollen Geschichte der Kinder Abrahams. Statt der Unschuld,


jetzt freilich würgt am Halse sogleich die unablösbare Kette:


Baumfrucht Fruchtkern Kernhaus Blausäure Auschwitz.


[Die Interpretation folgt Helmut Zwanger: Albrecht Goes. Freund Martin Bubers und des Judentums, Tübingen 2008, S. 265–273]


Quelle / Titel


  • © From the Martin Buber archive, ARC. Ms. Var. 350 008 240, Archives Department, the National Library of Israel; S. Fischer Verlag, Frankfurt

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