„Reichsbischofsdiktatur“ und Bekennende Kirche


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Anfang 1934 hatte die Kritik an Reichsbischof Ludwig Müller stark zugenommen. Während der radikale Flügel der „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ eine Synthese von Christentum und Nationalsozialismus verlangte, erwartete die sich formierende innerkirchliche Opposition gerade eine stärkere Distanzierung von solchen politischen Bestrebungen.


Die Aktionen des Reichsbischofs, die zunächst vor allem auf eine organisatorische „Gleichschaltung“ der Kirche mit dem Staat abzielte, gingen vielen bereits entschieden zu weit. Den Nationalsozialisten war die zunehmende Unruhe in der evangelischen Kirche ein Dorn im Auge.


Nachdem Ende 1933 sein „Reichskirchenkabinett“ zerbrochen war, versuchte Müller mithilfe neuer Berater, vor allem seines „Rechtswalters“ August Jäger und seines „Stabschefs“ und „Reichsvikars“ Heinrich Oberheid, eine Art „Reichsbischofsdiktatur“ zu errichten. Der sogenannte „Maulkorberlass“ vom 4. Januar 1934 sollte jegliche Kritik in der Kirche unterbinden; unbequemen Pfarrern drohten nun drastische disziplinarische Konsequenzen.


Angesichts der entstandenen Unruhe erwarteten sowohl Müller und seine Anhänger als auch die Kritiker ein Machtwort des Reichskanzlers. Am 25. Januar 1934 empfing Hitler die führenden Vertreter der miteinander streitenden kirchlichen Richtungen in Berlin. Bei der Unterredung war auch Hermann Göring zugegen. Er verlas ein abgehörtes Telefonat Martin Niemöllers, das dessen politische Illoyalität belegen sollte. Die Kritiker Müllers gerieten so in die Defensive und ließen sich noch einmal zu einer Erklärung nötigen, in der sie beteuerten, dass sie sich geschlossen hinter den Reichsbischof stellten.


Ermutigt durch diese Kapitulation machte Müller sich daran, die Landeskirchen in die Reichskirche einzugliedern. Damit aber überspannte er den Bogen endgültig. Kritiker aus unterschiedlichen Lagern schlossen sich zur „Bekenntnisfront“ zusammen und gründeten schließlich die „Bekennende Kirche“ mit eigenen Leitungsstrukturen.


Es ist schwer zu entscheiden, wo sich in dieser Phase die Mehrheit der Protestanten positionierte. Sicher ist jedenfalls, dass der Reichsbischof einen hohen Autoritätsverlust hinnehmen musste, während die Bekennende Kirche insbesondere in kirchennahen Bevölkerungskreisen wachsende Zustimmung erfuhr. Freilich darf auch eine dritte Gruppe nicht übersehen werden, die sich „neutral“ oder indifferent verhielt, vermutlich handelte es sich zahlenmäßig sogar um die größte Gruppe, sozusagen um die „schweigende Mehrheit“.


Am 23. September 1934 wurde Müller im Berliner Dom offiziell in das „Reichsbischofsamt“ eingeführt. Wegen der Konflikte war dieser offizielle, an staatstragender Symbolik kaum zu überschätzende Akt immer wieder verschoben worden. Jetzt sollte die pompöse Feier, die zweifellos auch seiner Eitelkeit schmeichelte, ihm dazu verhelfen, seine angeschlagene Autorität wiederherzustellen. Das gelang aber nicht, jedenfalls nicht nachhaltig. Dass Vertreter aus der Ökumene der Einführung fernblieben, war bereits ein deutliches Zeichen.


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