Proteste gegen die Deportationen


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Mit dem Ausbruch des Krieges verschärfte sich die Lage der in Deutschland verbliebenen Juden. Die bislang vom NS-Regime forcierte Auswanderung war nach Kriegsbeginn kaum mehr möglich; das Ziel war nunmehr, die jüdischen Mitbürger aus Deutschland auszuweisen.


Am 22. Oktober 1940 begann die erste umfangreiche Deportation, von der 7000 jüdische Mitbürger aus Baden, der Pfalz und dem Saarland erfasst wurden. Per Zug wurden sie in das vom Vichy-Regime verwaltete Südfrankreich abgeschoben und dort im Lager Gurs am Fuße der Pyrenäen unter katastrophalen hygienischen Bedingungen interniert. Weitere Deportationen gingen in den folgenden Monaten von allen größeren Städten des Reiches in den Osten.


Gegen diese Maßnahmen erhoben sich kaum Stimmen: Der deutschen Bevölkerung schien das Schicksal der Juden weithin gleichgültig. Die deutschchristlichen Kirchenleitungen schwiegen, sie mögen diese Maßnahme sogar begrüßt haben. Auch aus den Reihen der Bekennenden Kirche gab es keinen öffentlichen Protest, wohl aber übten einige Exponenten ausdrücklich Solidarität mit den betroffenen Christen jüdischer Herkunft.


Der Heidelberger Pfarrer Hermann Maas versuchte, konkret zu helfen. Er informierte Heinrich Grüber über die Vorgänge und nahm Verbindung mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf auf. Sein wichtigster Ansprechpartner war Adolf Freudenberg, der umgehend Wege suchte, um den Deportierten – darunter auch zwei Cousinen von ihm – Hilfe zukommen zu lassen. Der Ökumenische Rat richtete im Folgenden gemeinsam mit dem französischen Kirchenbund einen Seelsorgedienst ein. Auch die Flüchtlingsarbeit der protestantischen Jugendbewegung Frankreichs half, wo immer dies möglich war.


Besonders engagiert waren zwei Frauen, Madeleine Barot und Jeanne Merle D’Abigné. Sie verhalfen Juden auch zur Flucht in die Schweiz oder durch Spanien nach Portugal.


Heinrich Grüber, Leiter des Berliner Hilfswerks der Bekennenden Kirche für Christen jüdischer Herkunft, nutzte seine Kontakte, um so lange als irgend möglich die Verfolgten zu betreuen. Am 19. Dezember 1940 wurde Grüber verhaftet und in das KZ Sachsenhausen überstellt. Als Begründung wurde sehr vage angegeben, Grüber habe gegen die ihm auferlegten staatspolizeilichen Auflagen verstoßen (zit. nach: Röhm, Thierfelder, Juden 3/11, S. 299). Im Oktober 1941 wurde er nach Dachau verlegt und am 23. Juni 1943 überraschend auf Bewährung freigelassen.


Das „Büro Grüber“ konnte zunächst – wenn auch mit deutlich reduzierter Kraft – unter Pfarrer Werner Sylten weiterarbeiten, bis auch er am 27. Februar 1941 verhaftet wurde. Sylten, ein Christ jüdischer Herkunft, wurde ebenfalls ins KZ Dachau überstellt und am 26. August 1942 in Schloss Hartheim bei Linz ermordet.


Neben materiellen Hilfen für die Deportierten suchten einige Personen, die sich in der Bekennenden Kirche für die Christen jüdischer Herkunft im Besonderen verantwortlich wussten, die zur Abreise Aufgerufenen durch einen Abschiedsgottesdienst zu stärken.


So berichtete der Kölner Pfarrer Hans Encke 1976 rückblickend: Christliche Juden, die damals ja alle evakuiert worden sind, die haben wir gesammelt, und die haben dann hier [in der Kreuzkapelle ...], haben wir einen Schlußgottesdienst gehalten für sie. Haben noch Kinder getauft, die noch nicht getauft waren, haben Älteste [d.h. Presbyter] eingesetzt (zit. nach: Marquardt, Köln, S. 129).


Auch in der Gemeinde Berlin-Dahlem, in der Helmut Gollwitzer einen Kreis Christen jüdischer Herkunft gesammelt hatte, wurden Abschiedsgottesdienste gefeiert. Gollwitzer, der bereits eingezogen worden war, schrieb einen Abschiedsbrief, der den Deportierten mitgegeben werden sollte. Zudem wurden Laien zu Ältesten und Predigern ordiniert, damit diese in den Lagern Gemeinden gründen und betreuen konnten. Es gelang sogar, brieflichen Kontakt zu einigen Deportierten herzustellen und auf diesem Wege Anteil an ihrem Schicksal zu nehmen.


Quelle / Titel


  • Neue Zürcher Zeitung vom 16.2.1940

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