Stimmen gegen die Euthanasieverbrechen


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Eugenische Betrachtungen (i. e. die Anwendung humangenetischer Erkenntnisse auf die Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik mit dem Ziel, den Anteil negativer Erbanlagen zu verringern; hieraus abgeleitet ist die Rassenhygiene) waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitverbreitet und wurden breit diskutiert.


Die eugenischen Gedanken, die in Deutschland besonders durch die Veröffentlichung von Karl Binding und Alfred Hoche über die „Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ nach 1920 populär wurden, fanden auch in der Inneren Mission eine breite Resonanz. In mehreren Konferenzen öffneten sich seit 1930 Teile der diakonischen Einrichtungen diesen Fragestellungen.


Mit dem nationalsozialistischen „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom Juli 1933 wurde die Zwangssterilisierung legalisiert und eine Regelung geschaffen, die auch für die kirchlichen Einrichtungen zum Maßstab werden sollte und in evangelischen Häusern angewendet wurde. Verstärkt wurde diese Unterstützung auch, da man schon vor 1933 mit einem allgemeinen Sterilisierungsgesetz rechnete.


Betroffen waren vor allem Anstalts- und Heimbewohner, die an vermeintlichen Erbkrankheiten („angeborener Schwachsinn“, Schizophrenie etc.) litten, doch ließ das Gesetz reichlich Spielraum. Genaue Zahlen sind schwer zu ermitteln, Michael Burleigh geht insgesamt von 400.000 Opfern des Sterilisationsgesetzes aus.


Die nationalsozialistische Rassenhygiene diente zur Rechtfertigung von Massenmorden an als „lebensunwert“ definierten Menschen. So führte dieses Gesetz und die mörderische Radikalisierung der nationalsozialistischen Rassenpolitik dann unter den Bedingungen des Kriegsbeginns zur systematischen Ermordung von Behinderten. Das zentrale Dokument, Hitlers Empfehlungs- und Ermächtigungsschreiben für den „Gnadentod“, datiert auf den 1. September 1939, war ein privates Schreiben, welches doch Recht schaffen sollte.


Damit begann die als „Aktion T4“ – benannt nach der Dienstelle in der Tiergartenstraße 4 – bezeichnete systematische Tötung von psychisch kranken und körperlich behinderten Menschen. Bis August 1941 wurden rund 70.000 Anstaltsbewohner ermordet. Auch nach dem offiziellen Stopp der „Aktion“ ging das Morden weiter, bis zum Ende des Krieges dürfte sich die Zahl der Ermordeten fast bis auf das Doppelte erhöht haben.


Der Stopp der Mordaktionen durch die Nationalsozialisten hat mehrere Ursachen. Wichtig dabei waren besonders die berühmten Predigten des Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galen, die mehrfach publiziert wurden.


Auch auf evangelischer Seite gab es Stimmen gegen das Unrecht:


Richter Lothar Kreyssig (1898–1986), der sich als einfacher Richter gegen die Euthanasiemorde wandte und an NS-Justizminister Gürtner 1940 schrieb: Recht ist, was dem Volke nützt. Im Namen dieser furchtbaren, von allen Hütern des Rechtes in Deutschland noch immer unwidersprochenen Lehre sind ganze Gebiete des Gemeinschaftslebens vom Rechte ausgenommen, vollkommen z.B. die Konzentrationslager, vollkommen nun auch die Heil- und Pflegeanstalten.


Der westfälische Pfarrer Ernst Wilm kam wegen eines Referates zur „Tötung der ,unheilbar‘ Kranken“ im Winter 1940/41 in ein Konzentrationslager.


Der Theologe Hermann Diem (1900–1975), ein Mann der Bekennenden Kirche, verfasste 1940 ein ausführliches theologisches Gutachten, welches er dem württembergischen Landesbischof Theophil Wurm übersandte. Darin sprach er sich sehr deutlich gegen die Mordaktionen aus theologischen Gründen aus (siehe Quelle).


In die gleiche Richtung ging auch das Hirtenwort der katholischen Bischöfe vom 26. Juni 1941 mit den klaren Worten: Es gibt … heilige Gewissenspflichten, von denen uns niemand befreien kann und die wir erfüllen müssen, koste es uns selbst das Leben: Nie, unter keinen Umständen, darf der Mensch Gott lästern, nie darf er seinen Mitmenschen hassen, nie darf er außerhalb des Krieges und der gerechten Notwehr einen Unschuldigen töten, nie darf er ehebrechen, nie lügen. Nie darf er seinen Glauben verleugnen oder sich durch Drohung oder Versprechung verleiten lassen, aus der Kirche auszutreten.


Am bekanntesten ist sicher die Denkschrift des Lobetaler Pfarrers und Anstaltsleiters Paul Gerhard Braune (1887–1954) vom Juli 1940. Darin hatte Braune alle vorhandenen Informationen gesammelt und diesen den staatlichen Stellen übergeben. Im August 1940 wurde Braune von der Gestapo verhaftet. Auch nach seiner Haftentlassung Ende Oktober 1940 setzte er heimlich seinen Kampf gegen das Morden fort.


Quelle / Titel


  • © Landeskirchliches Archiv Stuttgart, D1/113

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